Nicolas Fink war zwölf Jahre alt, als er das erste Mal in einem Chor gesungen hat – „eine Offenbarung“, wie er sagt. Doch zwei Wochen vor dem Konzert dann der Schreck: Der Stimmbruch setzte ein. Dieses „Trauma“, erzählt er heute lachend, habe er überwunden, indem er vier Jahre später begann, Chöre zu leiten. Nach seinem Schulabschluss studierte Fink zunächst Operngesang und Dirigieren. Doch schnell wurde dem Schweizer klar, dass er nicht als Bariton Karriere machen wollte. Zu sehr habe er die musikalischen Prozesse nicht aus der Sänger-, sondern aus der Leitungsperspektive beurteilt. Später öffnete ihm ein Meisterkurs mit einem Profi-Rundfunkchor die Augen: „In der Oper gibt es mit Bühnenbild, Inszenierung und Kostümen so viele Faktoren, zwischen denen man navigieren muss. Das ist beim Chor nicht so. Ich bin begeistert von der Kompromisslosigkeit in der Suche nach Qualität und Perfektion im Chorgesang.“ Er liebe es, mit den Sängern zu arbeiten, einen Klang zu entwickeln und eine Vision zu vermitteln.
Seither hat Nicolas Fink diesen Weg unbeirrt verfolgt und tritt mit Beginn dieser Spielzeit seine Stelle als Chefdirigent des WDR Rundfunkchors an. Aufgrund der Coronapandemie gestaltet sich sein Einstand ganz anders als geplant. „Natürlich hätte ich mir die Umstände meines Amtsantritts anders gewünscht. Inzwischen habe ich mich aber arrangiert und versuche, die Chancen dieser außergewöhnlichen Situation zu erkennen.“ Dinge zu hinterfragen, die jahrelang selbstverständlich waren, überhaupt den Sinn seiner Tätigkeit zu hinterfragen finde er spannend. Dennoch kann mindestens bis zum Ende des Jahres keine reguläre Probe stattfinden. Und auch für sein Antrittskonzert kann Fink nicht mehr mit der vollen Besetzung arbeiten. Stattdessen setzt er jetzt auf Repertoire, das für kleiner besetzte Ensembles geeignet ist.
Chorgesang neu erlebbar machen
Kein Problem für den Schweizer, der besonders durch interdisziplinäre Programme und ausgefallene Projekte hervorsticht wie den Eurovision Choir Contest, bei dem er auf der Suche nach dem besten Amateurchor Europas war. „Es ist eines meiner großen Anliegen, den Chorgesang in einem neuen Umfeld erlebbar zu machen, ohne dabei die kulturelle Aussage zu kompromittieren.“ Eines seiner Videoprojekte mit Rachmaninows „Ganznächtlicher Vigil“ verwirklichte Fink bereits mit dem WDR Rundfunkchor. Die Offenheit und Begeisterung der Sänger habe ihn schon damals sehr beeindruckt. Bei solchen Projekten komme es immer auf die Vermittlung an, erklärt er. Ideen für seine Zeit als Chefdirigent sind auch da. „Es wird sich nicht von heute auf morgen alles verändern, denn es gibt beim WDR schon viel Tolles, das ich gerne lernen und weiterpflegen möchte.“
Ein wichtiger Schritt
Nicolas Fink, der schon mit bedeutenden Dirigenten wie Simon Rattle, Herbert Blomstedt oder Riccardo Chailly und mit vielen Profichören zusammengearbeitet hat, ist ein sehr bodenständiger Mensch, der in seiner Freizeit am liebsten mit Freunden etwas essen geht. Köln wird für ihn nun die erste Station als Chefdirigent eines deutschen Profichores – mit dem er zudem schon seit zehn Jahren als Gastdirigent verbunden ist. Er kenne die Sänger und die Stärken des Chores. Dass er jetzt einen Schritt weitergehen und die Verantwortung für das Ensemble übernehmen darf, bedeutet ihm viel. Besonders lobt er die stimmlichen Möglichkeiten des Chores. Die seien vor allem seinem Vorgänger Stefan Parkman zu verdanken. „Für mich ist es ein sehr guter Zeitpunkt, das Ensemble zu übernehmen, weil ich genau in diese Richtung weitergehen und die Klang- und Farbpalette noch weiter ausbauen kann.“ Bei der Erfahrung und den Ideen, die Nicolas Fink mitbringt, dürfte das nicht lange auf sich warten lassen.