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Porträt Niklas Liepe

Er spielt gern auf Risiko

Niklas Liepe lässt auf der Basis klassischer Werke etwas Neues entstehen – und posiert dafür auch mal mit Zwergkamelen.

vonSören Ingwersen,

Wie positioniert man sich als Künstler? Was treibt einen an? Mit welchen Themen wendet man sich ans Publikum? Diese Fragen möchte Niklas Liepe nicht dem Zufall und schon gar nicht irgendwelchen Agenturen oder Labels überlassen. Der 1990 in Göttingen geborene Geiger steht für eine neue Generation von Musikern: Ausgehend von seiner Leidenschaft fürs klassisch-romantische Repertoire – Beethoven, Mendelssohn, Brahms – sucht er in seinen ambitionierten Projekten vor allem eines: den Anschluss an die Gegenwart unter Einbeziehung klassikferner Zuhörerschichten. Anders wäre es nicht zu verstehen, dass Liepe 2018 nicht mit einem der drei genannten Klassikschwergewichte, sondern mit Paganinis furios funkelnden, aber auch teuflisch schweren Capricen für Violine solo in den CD-Markt einsteigt – erweitert um stilistisch sehr unterschiedliche Orchesterbegleitungen, in Auftrag gegeben bei fünfzehn internationalen Komponisten.

„Ich riskiere gerne etwas, gehe gern in die Extreme. Das ist der Grund, weshalb ich Musik mache“, sagt Liepe, der deshalb auch eher skeptisch auf das System von Musikwettbewerben schaut, wo Teilnehmende gut beraten sind, mit ihrem Spiel nicht zu polarisieren. Eine sensibel austarierte Unauffälligkeit – die ist Liepes Sache nicht. Und doch hat auch er bei namhaften Wettbewerben viele Pokale eingesammelt. Schon als Kind mischte er gemeinsam mit seinem Bruder Nils am Klavier sehr erfolgreich bei „Jugend musiziert“ mit. Das Frühstudium bei Krzysztof Węgrzyn an der Musikhochschule Hannover begann für beide sowie für die ebenfalls Geige spielende Schwester Nina, als Niklas elf Jahre alt war. „Wir drei waren im gleichen Studiengang wie Igor Levit, Joana Mallwitz und Erina Yashima“, erinnert sich Liepe, der nach seinem Schulabschluss sein Geigenstudium in Köln bei Zakhar Bron aufnahm, unter dessen Schülern sich so illustre Namen wie Vadim Repin, Maxim Vengerov, Daniel Hope und, ja, auch David Garrett wiederfinden.

Studienkollege von Igor Levit, Joana Mallwitz und Erina Yashima: Niklas Liepe
Studienkollege von Igor Levit, Joana Mallwitz und Erina Yashima: Niklas Liepe

Für Liepe hat diese Zeit, in der er sich zweifelsohne eine famose Technik angeeignet hat, auch einen bitteren Beigeschmack: „Das war eine sehr harte, intensive Geigenschule. Man musste tun, was der Professor sagt.“ Später, als Student der Kronberg Academy, eröffnete ihm die argentinisch-deutsche Geigerin Ana Chumachenco eine ganz andere Seite des Musizierens: „Sie fragte danach, wie man Musik empfindet und als Künstler wahrgenommen werden möchte. Das war für mich ein krasser Wendepunkt, eine Zeit, in der ich keine Konzerte gegeben und mich nur darauf fokussiert habe, was ich machen möchte.“

Neues Projekt mit Oscar-Preisträgerin Rachel Portman

Zum Beispiel Kammermusik spielen oder eigene Projekte anstoßen wie das Festival „Liepe & Co.“, das er 2017 mit seinem Bruder und Duo-Partner Nils in den Stahlhallen am Südbahnhof in Hannover gegründet hat. Auch die „Goldberg Reflections“, 2019 eingespielt mit der NDR Radiophilharmonie, tragen eindeutig Liepes Handschrift. Andreas N. Tarkmanns Fassung von Bachs „Goldberg-Variationen“ für Violine und Streicher ergänzen elf Komponisten mit musikalischen Kommentaren. Für sein neustes Projekt mit dem WDR Funkhausorchester Köln und dem Norrlandsoperans Symphony Orchestra konnte Liepe, der seit 2016 mit seiner Frau in Hamburg lebt und an der dortigen Musikhochschule unterrichtet, die britische (Film-)Komponistin und Oscar-Preisträgerin Rachel Portman gewinnen. Ihr Violinkonzert „Tipping Points“ befasst sich über die Elemente Feuer, Erde, Luft und Wasser in einer zugänglichen Musiksprache mit dem Klimanotstand. Die Suite wird durch neue Gedichte des englischen Autors Nick Drake kommentiert.

Parallel gab Liepe eine Überschreibung von Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ durch Jazzkomponist Wolf Kerschek in Auftrag, die ebenfalls großes Kino in die Köpfe projiziert: „Ich möchte zeigen, wie die Jahreszeiten sich von der Zeit Vivaldis bis heute verändert haben“, sagt Liepe. Die Botschaft: Geht achtsam um mit der Welt, in der wir leben! Das käme auch den Alpakas zugute, mit denen Liepe im Musikvideo „GoldBergHain“ posiert. Die putzigen Zwergkamele mit der coolen Wuschelfrisur verhalfen ihm sogar zu einem Opus-Klassik-Preis.

Aktuelles Album

Album Cover für Portman: Tipping Points, Vivaldi/Kerschek: The New Four Seasons

Portman: Tipping Points, Vivaldi/Kerschek: The New Four Seasons

Niklas Liepe (Violine) WDR Funkhausorchester Sony (ab 5.4.)

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