Als „kommenden Pianisten“ in der großen russischen Klaviertradition von Heinrich Neuhaus bis Swjatoslav Richter hat die legendäre Tatiana Nikolayeva ihren Schüler Nikolai Lugansky einst bezeichnet. Doch das Idol des Musikers, der die Legende Richter selbst noch einige Male live hören durfte – „ein großes Erlebnis!“ – ist immer Sergej Rachmaninow gewesen. „Es kommt sehr selten vor, dass ein genialer, ja für mich der wichtigste aller russischen Komponisten, auch im Leben ein Vorbild ist“, sagt der Pianist. „Er war ein bisschen wie Albert Schweitzer: Stets sehr bescheiden hat er, oft anonym, vielen Menschen geholfen – und das nicht allein mit Geld.“
Konzertieren für ein positives Russland-Bild
Geld bedeutet denn auch Lugansky ebenso wenig wie die Preise, die seine Laufbahn zieren. Zumal etwa der Sieg 1994 beim Internationalen Tschaikowsky-Wettbewerb finanziell ohnehin eine Lachnummer gewesen sei: „Grad mal 4000 Dollar habe ich bekommen – und zwar in Rubel!“ erinnert er sich. „Das war damals der Anfang der Post-Perestroika, eine unglaubliche Zeit – von dem Geld konnte ich mir noch nicht mal ein kleines Klavier kaufen.“ Dass der zweifache Familienvater dennoch – bei allen anhaltenden gesellschaftlichen und politischen Turbulenzen daheim – ein Russe mit Leib und Seele ist, steht außer Zweifel. Und so kontert er Fragen zur viel kritisierten Politik des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit der Ansicht, dass es vor allem die „Massenmedien der westlichen Länder“ seien, die sehr kritisch auf Russland blickten. Natürlich sei die Situation in der Ukraine „sehr tragisch“, doch historisch betrachtet sei die nun annektierte Krim bis 1991 immer russisch gewesen: „Von daher ist das jetzt ein bisschen wie die Vereinigung von Ost- und Westdeutschland 1989.“ Doch genug dieser etwas anderen Betrachtungen, schließlich habe er „keine politische Mission“, sondern wolle vielmehr als Künstler „etwas Positives über Russland“ vermitteln. Was die Frage aufwirft, was denn typisch russisch ist aus seiner Sicht? Seine schlagfertige Antwort: „Sie selbst als Deutscher würden lachen, wenn ich nach dem typisch Deutschen bei Bach und Strauss fragte: Da gibt es einfach nichts Verbindendes.“ Und wie ist das mit der oft beschworenen „russischen Seele“? Die Ironie ist unüberhörbar: „Ich kannte diese bislang nicht, und in Russland spricht man auch nicht von einer russischen Seele. Aber wenn im Westen darüber geschrieben wird, vielleicht gibt es sie ja doch …“
Ja, so wie Lugansky am Flügel nicht den Tastentitan gibt, sondern sich als Meister der Differenzierung präsentiert, bei dem noch die nebensächlichste Nebenstimme zum Ereignis wird, so schaut er eben auch bei seinen Landsleuten genau hin. Etwa wenn es um den Wandel geht, den seine Heimat von der Sowjetunion seiner Kindheit bis zum Russland Putinscher Prägung vollzogen hat: „Die größte Veränderung hat in psychologischer Hinsicht stattgefunden: Früher war die Mentalität der Menschen geprägt vom Geben – man gab sich Mühe, setzte sein Talent für andere ein und arbeitete füreinander“, meint der Sohn zweier Wissenschaftler nachdenklich. „Heute heißt leben zu nehmen, jeder versucht möglichst viel – vor allem Geld – zu bekommen. Was übrigens auch im Konzert zu spüren ist: Früher bemühte sich das Publikum Musik zu ‚erarbeiten’ – heute will man sich amüsieren.“
Lugansky selbst schätzt da eine ganz andere Art der Zerstreuung: Schach. Die Faszination der Logik als Kontrapunkt zur Musik? Ja, gibt der brillante Tasten-Techniker zu, denn Schach sei tatsächlich das ganze Gegenteil zur Musik. „Musik ist nicht planbar, das Logische spielt hier keine Rolle, es gibt keinen Sieger oder Verlierer. Beim Schach hingegen steht am Ende immer ein klares Resultat, Sieg, Niederlage oder Remis – ein wunderbares Spiel.“