Beim konzertanten Wagner-Zyklus, den das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin 2010 startete und im kommenden Jahr abschließen wird, mangelt es nicht an erlesenen Sängern. Dies wird nicht zuletzt am Namen Nina Stemme auf dem Besetzungszettel deutlich, die sich in den letzten zehn Jahren in das Herz vieler Wagner-Fans gesungen hat. Wie sehr Operngänger weltweit von der schwedischen Sopranistin fasziniert sind, erfährt man beispielsweise, wenn man sich Kommentare im Internet durchliest. „Ihre Stimme ist groß, sie singt alle hohen Töne ohne Anstrengungen, hat nirgends Schwächen – Junge, kann diese Frau singen!“ heißt es da, und Stemme sei „geboren, um Wagner zu singen“.
Dabei nimmt die Verehrung aberwitzige Züge an. Manche trauen ihren Ohren nicht („Nina Stemme is unreal“), vergöttern sie („Stemme is a goddess“) und nach ihrem umjubelten Ring in San Francisco im vergangenen Jahr schrieb ein Besucher der Metropolitan Opera gar, er wünsche sich die Erkrankung einer prominenten Sänger-Kollegin – damit die Stemme einspringen könnte.
Geboren wurde Nina Stemme 1963 in Stockholm. Als Chorsängerin kam sie das erste Mal mit der Oper in Kontakt, doch begann sie parallel zum Gesangsunterricht auch ein Wirtschaftsstudium, an die Karriere auf der Opernbühne glaubte sie zunächst nicht. Zumal sie die ersten Jahre als Mezzo ausgebildet und in dieser Stimmlage wenig glücklich wurde. Erst mit Ende 20, als sie ihr Studium am University College of Opera in Stockholm begann, beschritt sie den Weg ins höhere Fach.
Über verschiedene Wettbewerbserfolge gelangte sie an erste Konzert- und Bühnenengagements in Stockholm, Göteborg und Paris. Und es dauerte nicht lange, da bot ihr die Wiener Staatsoper nach einem Vorsingen einen Ensemble-Vertrag an – doch Stemme lehnte ab. „Es war surreal, ein Angebot von dem Opernhaus zu bekommen, doch gleichzeitig hatte ich das Gefühl, das sei noch nicht das Richtige für mich“, erinnert sie sich in einem Interview mit musicalcriticism.com. Stattdessen ging sie nach Köln, um sich „in Ruhe entwickeln zu können“, sang Partien wie Mimi in La Bohème oder die Madame Butterfly und nahm Gastengagements in Hamburg, Dresden und bei den Bregenzer Festspielen an. Auch nach Bayreuth wurde sie eingeladen, 1994 debütierte sie hier als Freia im Rheingold. Bis zu ihrem Durchbruch als Wagner-Sängerin sollten aber noch mehrere Jahre vergehen, genauer gesagt bis 2003, als sie beim Glyndebourne-Festival das erste Mal Isolde verkörperte und Publikum und Presse begeisterte. Inzwischen hat sie die Partie in Bayreuth, Zürich und London gesungen und mit Plácido Domingo 2005 eine legendäre Aufnahme vorgelegt. Auch beim RSB-Zyklus war sie im März in dieser Partie zu hören, die Kritiker zeigten sich ergriffen von ihrem „leid- und liebesgesättigten Sopran“ (Tagesspiegel).
Obwohl heute keinesfalls auf Wagner festgelegt, so zeigt sich Stemme doch als großer Fan seiner Bühnenwerke: „Es ist nicht nur der Gesang, sondern das gesamte Paket: Die Tiefe des Librettos, das die Musik inspirierte, weil es genauso von Wagner stammt. Außerdem werfen seine Figuren viele interessanten Fragen auf.“
Mit Stemmes zunehmender Präsenz in der Wagner-Welt häufen sich nun auch die Vergleiche mit einer prominenten Landsfrau, mit Birgit Nilsson. Kenner winken hier zwar noch ab, doch das Potential, mit ihr gemessen zu werden hat Stemme allemal. Und wer weiß, vielleicht war es ja kein Zufall sondern Nilssons Wunsch, als im Jahr 2009 postum zum ersten Mal der von ihr gestiftete „Birgit Nilsson Prize“ an Plácido Domingo verliehen wurde, dass Nina Stemme während der Zeremonie den Gesangspart übernahm.