Ehrlich gesagt, man staunt nicht schlecht, wenn man sich eines der vielen Videos von Nobu Tsujii im Internet anschaut: wenn der junge japanische Pianist vor einem Orchester am Flügel sitzt, ein Mozart-Klavierkonzert interpretiert und das Zusammenspiel besser nicht sein könnte – obwohl Tsujii weder die Musiker noch den Dirigenten sehen kann.
Nobu (eigentlich Nobuyuki) Tsujii stammt aus Tokio, ist 23 Jahre alt und von Geburt an blind. Mit klassischer Musik kam er schon sehr früh in Berührung, im Telefon-Interview mit Dolmetscher erzählt er, wie er schon Chopin-CDs hörte, da war er nicht mal ein Jahr alt. „Mein Lieblingsstück war damals Chopins Polonaise in As-Dur, bei einer bestimmten Aufnahme habe ich freudig reagiert und bin herumgehüpft, aber wenn ein anderer Pianist das gleiche Stück gespielt hat, war ich unzufrieden.“
Seine Mutter erkannte sein gutes Gehör und besorgte ihm ein Spielzeug-Klavier, auf dem der Sohn bald nachspielte, was die Mutter ihm vorsang. Mit vier Jahren bekam Tsujii dann Klavierunterricht, mit sieben gewann er seinen ersten Musikwettbewerb, drei Jahre später debütierte er bereits mit Orchester auf großer Bühne in Osaka.
Dabei erlernte er sämtliche Stücke nach Gehör, anhand speziell angefertigter Aufnahmen, auf denen linke und rechte Hand separat vorgespielt werden. „Ich habe das Üben nie als Belastung empfunden, das war für mich, wie andere Kinder draußen spielen, meine Lieblingsbeschäftigung, wo ich mich ausdrücken konnte.“ Zu Jugendzeiten übte Tsujii vier Stunden täglich, heute sitzt er bis zu acht Stunden am Instrument.
Belohnt wurde sein unermüdliches Engage-ment dann vor drei Jahren, als er in den USA den wichtigen „Van Cliburn International Piano Competition“ gewann – seitdem scheint seine Karriere kaum noch aufzuhalten. Im Herbst 2011 wurde er in die Carnegie Hall eingeladen, im Mai dieses Jahres spielt er in London unter Vladimir Ashkenazy Prokofjews drittes Klavierkonzert. Was dem Zuschauer dabei wie ein Wunder erscheint, empfindet Tsujii selbst als weniger kompliziert: „Die Arbeit mit dem Orchester ist eigentlich nicht so ein Problem. Ich spüre, wie der Dirigent atmet, ich muss den Taktstock nicht sehen können, um den Einsatz zu bekommen. Ich spüre auch, was die Orchestermusiker wollen, das ist wie eine Welle, die zu mir fließt und der ich folgen muss.“
2010 nahm er mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin Rachmaninows zweites Konzert auf – das Resultat ist beeindruckend, zeugt von großer Musikalität, wenngleich er den großen Emotionen eher nüchtern als schwelgerisch begegnet, selten lässt sich Tsujii in die russische Seele des Konzerts fallen.
Inspiration sucht Tsujii zum Teil in Aufnahmen anderer Interpreten: „Jeder spielt es auf seine Weise anders, das höre ich, setze mich damit auseinander und vergleiche es mit dem, was ich mir erarbeitet habe.“ Im Gespräch über Vorbilder fallen die Namen Kissin, Horowitz – und Martha Argerich: „Ich frage mich immer: Wie schafft sie es, diese Energie, diese Kraft, diese Brillanz und Farbe zu erzeugen?“
Doch nicht nur das Spiel anderer Pianisten interessiere ihn, sagt Tsujii. „Für mich ist es auch sehr inspirierend, auf Konzertreisen die Wirkungsstätten von Komponisten zu besuchen. Ich war in Chopins Wohnhaus in Warschau, ich war auch in dem Kloster auf Mallorca, in das er sich damals zurückgezogen hat. Ich habe diese Stille erlebt und kann mir dadurch sehr gut vorstellen, wie er dort gelebt hat und was er in der Zeit empfunden hat.“