Chemnitz – wohl kaum eine andere Stadt in Mitteldeutschland stellt ihr eigenes Licht unter den Scheffel wie die ehemalige Karl-Marx-Stadt. Noch nach Dresden im März 1945 bis zur Gesichtslosigkeit zerbombt, übernimmt Chemnitz in Sachsen gern in aller Devotion die Rolle des hässlichen Entleins. Dabei wurde in der Industriestadt schon vor dem Krieg immer das Geld erarbeitet, das in Leipzig gehandelt und in Dresden verprasst wurde. Soweit das Klischee.
Dabei hat es die Stadt auch ohne richtiges Stadtzentrum und nennenswerte prominente Sehenswürdigkeiten immer wieder in die Schlagzeilen der Feuilletons gebracht: Vor allem die Kunstsammlungen mit ihrem Bestand an wesentlichen Werken des Impressionismus und Expressionismus machen Chemnitz bei Kunstkennern zu einem Signalwort. Gleich nebenan steht am Theaterplatz seit 1909 die Oper, die von dieser Nähe erst kürzlich profitierte, steuerte doch der Ausnahmemaler Georg Baselitz das Bühnenbild zu Ligetis Oper Le Grand Macabre bei. Das war nicht die erste mit Spannung erwartete Neuproduktion am Chemnitzer Musiktheater, das seinen Platz am nicht gerade üppig geweiteten Horizont der nationalen Musikpresse erfolgreich verteidigt.
Der Ring im „sächsischen Bayreuth“
Das macht staunen, ist doch das „sächsische Manchester“ mit seinen gerade so 240.000 Einwohnern mitten in der Provinz nicht von vornherein einer künstlerischen Vorreiterrolle verdächtig. Aber die Neugier ist groß, das Spektrum zwischen Musicals, Klassikern und sogar auf CD gebannten Ausgrabungen riesig. Torsten Raschs Herzogin von Malfi erlebte hier ihre deutsche Erstaufführung, die Spätromantik feierte mit Franz Schreker (Der Schmied von Gent), Wilhelm Kienzl (Der Evangelimann), Hans Pfitzner (Rose vom Liebesgarten) und Emil Nikolaus von Reznicek (Benzin) fröhliche Urständ. Dazu kam Versunkenes wie Prokofjews Verlobung im Kloster, Otto Nicolais Heimkehr des Verdammten oder Meyerbeers fast sechsstündiger Kassenhit Vasco de Gama. Der komplette Ring des Nibelungen machte die Chemnitzer Oper vor einigen Jahren zum Mekka der Wagnertouristen, die lieber ins „sächsische Bayreuth“ fuhren als zum Originalhügel mit den harten Stühlen, fragwürdigen Inszenierungen und zwölf Jahren Wartezeit. Mehrfach wurde die Oper Chemnitz für ihre Innovationsfreude und ihre künstlerische Qualität mit wichtigen Preisen ausgezeichnet.
Der Kampf um den Erhalt der vier Sparten
Doch die noch zu Zeiten der Reichsmark reichste deutsche Stadt vergreist zusehends und hat ein gehöriges Finanzproblem. Christoph Dittrich, der Generalintendant der Städtischen Theater, muss demnächst fast zehn Prozent seiner 452 Stellen abbauen, die meisten davon bei der Robert-Schumann-Philharmonie, dem hervorragenden Hausorchester, das von bisher über 100 auf 86 Musiker verkleinert werden soll. „Den tariflichen Status eines A-Orchesters werden wir auf jeden Fall behalten“, betont Dittrich, „aber gerade bei Konzerten werden wir schon Abstriche beim Repertoire machen und uns insgesamt überlegen müssen, ob wir noch so oft spielen können wie bisher.“ Kleinlaut heißt es, man werde Kündigungen vermeiden, alle Reduktionen sollen sich durch natürliche Fluktuation wie von selbst ergeben. Dafür will Dittrich unbedingt an allen Sparten festhalten: Er verantwortet als Generalintendant nicht nur den Opernbetrieb, sondern auch ein Ballett, ein sagenumwobenes Schauspiel und ein legendäres Figurentheater. „Alles andere wäre ein Desaster, weil jede Sparte eine lange Tradition hat.“
Das Stadttheater droht also notgedrungen zu dem zu werden, was ihm per politischer Definition zugedacht ist: ein Theater für die Breite. Das muss nicht schlecht sein, läuft aber Gefahr, seinen einzigartigen Rang als Ausgrabungsstätte zu verlieren. „Im Moment haben wir wenig Zeit, uns um dramaturgische Fragen zu kümmern, weil die ökonomischen Zwänge alle Kapazitäten absorbieren“, sagt Dittrich, der sich selbst erst mal einarbeiten muss. Es steht zwar für 2015 schon ein Auftrag an Benjamin Schweitzer aus, und auch Torsten Rasch wird wieder beteiligt – allerdings sinfonisch. Alles weitere ist aber derzeit unklar.