Es ist eine der Biografien, die durch den Untergang der UdSSR in zwei Hälften geteilt wird. Sergei Babayan gelang direkt nach dem Fall des Eisernen Vorhangs auch im Westen der Durchbruch, weil er in den Folgejahren einen großen Wettbewerb nach dem anderen gewann. Etwa 1989 die Cleveland International Piano Competition, 1990 den Internationalen Hamamatsu-Klavierwettbewerb und 1992 den Internationalen Schottischen Klavierwettbewerb.
Im Alter von sechs Jahren hatte er das Klavier für sich entdeckt, später am Moskauer Konservatorium studiert. Seine Wahlheimat aber wurde Amerika. Und weil Babayan in den folgenden Jahrzehnten kaum je in Europa gastierte, ist sein Name hierzulande nicht so groß, wie sein außerordentliches Talent es verdient hätte.
Sanft perlend, aber nicht bruchlos
Den größten Unterschied zum Spiel anderer Virtuosen macht sein vergleichsweise sanfter Anschlag, dank dem sich seine Kunst wie ein Glas sanft perlenden Sekts genießen lässt. Darüber verblasst indessen keineswegs die Farbigkeit der Musik, weil er zugleich den Ausdruck durch großgespannte, emotionale Bögen steigert. Die Intensität, mit der ihm dies gelingt, muss keine Vergleiche scheuen und hat das Potenzial zu einem pianistischen Markenzeichen.
Völlig bruchlos trägt er seine Zuhörer aber nicht über die oft glatt und glänzend wirkende Oberfläche eines Klavierkonzertes von Mozart hinweg. Denn den Agitationsmodus wechselt er so schnell und fließend, dass man oft zwei bis drei Anschläge braucht, um zu realisieren, dass er schon wieder völlig anders spielt.
Die musikalische Freundschaft zu Argerich
Dabei verfügt er über ein breites Repertoire, ist besonders für seine Bach-Interpretationen bekannt. Mit Werken von Mozart, Beethoven, Schumann und Brahms führt sein Können aber weit ins 19. Jahrhundert hinein und bei den BBC Proms 2015 war er zudem unter der Leitung von Valery Gergiev mit dem dritten Klavierkonzert von Prokofjew zu hören. An diesem besonderen Abend wurden alle fünf Klavierkonzerte des russischen Komponisten gegeben. Die ersten beiden spielte Daniil Trifonov, Babayans bekanntester Schüler.
Martha Argerich ist schon lange eine Spielpartnerin von Babayan. Entsprechend war es keine große Überraschung, dass sie jüngst zu gemeinsamen Aufnahmen ins Studio gingen. Das Repertoire war alles andere als konventionell und setzte sich aus Werken Prokofjews zusammen, die – ursprünglich nicht für zwei Klaviere konzipiert – von Babayan eigens neu arrangiert wurden.
Ist Sergej Babayan bald präsenter in Europa?
Besonders in den das Album eröffnenden zwölf Stücken aus Prokofjews „Romeo und Julia“ spielen die beiden so symbiotisch, dass es klingt, als würden sie via Tastendirigat gemeinsam ein großes, stahlsaitenbasiertes Orchester leiten. Das Einzelstück „Der Geist von Hamlets Vater“ klingt dann schon mehr nach zwei Klavieren, ist atmosphärisch aber ebenfalls sehr stark.
Babayan hat seine insgesamt 19 Bearbeitungen Martha Argerich gewidmet, Natashas und Andreis Walzer aus „Krieg und Frieden“ ist in einer doppelten Geste der Würdigung auch Daniil Trifonov zugeeignet. Die Stücke wurden erstmals im schweizerischen Lugano vor Publikum gespielt – und weil Babayan 2017 auch beim Verbier-Festival konzertierte, können wir Europäer wohl darauf hoffen, dass er hier künftig präsenter sein wird.