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Porträt Paul Lewis

Unscheinbarer Meister

Paul Lewis hat sich ohne viel Aufsehen an die Spitze der Beethoven- und Schubert-Interpretation gespielt.

vonJan-Hendrik Maier,

Er lerne Schubert erst noch kennen, sagte Paul Lewis kürzlich im Interview mit einem New Yorker Radiosender. Das mag verwundern, immerhin hat sich der britisch-irische Pianist in den vergangenen zwei Jahrzehnten einen exzellenten Ruf als Schubert-Interpret erarbeitet und auch als Beethoven-Spezialist hervorgetan. Und doch zeigt sich darin eine Geisteshaltung des Künstlers: Die Musik steht für sich selbst, es bedarf keiner affektierten Manierismen oder Selbstinszenierungen am Flügel. Besonnenheit, Werktreue und das Streben nach dem tiefen Durchdringen der Partitur zeichnen folglich Lewis’ Spiel aus. Ausgestattet mit einer fein abgestuften Palette an pianistischen Farbwerten, realisiert er ein rundes und zumeist gesangliches Klangideal.

Paul Lewis: fasziniert vom Menschlichen in der Musik

Dass der Sohn eines Hafenarbeiters und einer städtischen Angestellten überhaupt zur Klassik gekommen ist, verdanke er der gut sortierten Plattenabteilung und auch ein bisschen der Begeisterung eines Bibliothekars für die Wiener Klassik in seiner Geburtsstadt Liverpool. Auf LP hörte er erstmals seinen späteren Mentor Alfred Brendel mit den Beethoven-Sonaten. Berauschend sei das gewesen. Nach glücklosen Gehversuchen am Cello, dem einzigen Angebot an seiner öffentlichen Schule, begann Lewis erst als Zwölfjähriger mit dem Klavierspiel. Rasch wechselte der hochtalentierte Teenager an die private Chetham’s School of Music in Manchester, mit achtzehn schließlich nahm er sein Studium an der Londoner Guildhall School of Music and Drama auf.

In einer Meisterklasse begegnete er dort 1992 Brendel. Wie kein Zweiter prägte ihn der Jahrhundertpianist, dessen Privatschüler er wurde. „Er hat nie Vorschläge gemacht, wie man Beethoven spielen und verstehen soll. Seine Kunst liegt darin, dass er einen dazu bringt, eben dies selbst zu tun.“ Lewis dachte viel nach, legte in seinen Dreißigern alle Sonaten und Klavierkonzerte des großen „B“ vor, die er auf Tournee bis nach Neuseeland trug, erarbeitete sich Schubert und scheut bis heute nicht vor Ausflügen in die Romantik zu Liszt, Schumann oder Brahms zurück.

„Beethoven bietet immer eine Lösung an, Schubert hingegen lässt einen oft mit mehr Fragen als am Anfang zurück. Das ist so menschlich, weil es die Verletzlichkeit und das Fragile dessen widerspiegelt, was wir sind.“ Solch großartige Musik warte bei jeder Begegnung mit etwas Neuem auf. Auch deswegen wendet sich ihr der 52-Jährige immer wieder zu.

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