Startseite » Porträts » „Die natürlichste Sache der Welt“

Porträt Pietari Inkinen

„Die natürlichste Sache der Welt“

Warum der Finne Pietari Inkinen die Geige gerne gegen den Dirigentenstab getauscht hat

vonHeiner Milberg,

Pietari Inkinens Dirigentenlaufbahn begann mit einem Zettel. „Wer sich als Dirigent versuchen möchte, sei bitte am Samstag um 10 Uhr im Konzertsaal“, stand dort. Warum nicht, dachte sich der 14-jährige Jungstudent im Fach Violine an der Sibelius-Akademie und ging hin. Jorma Panula, der Dirigierlehrer an Finnlands einziger Musikhochschule, drückte den Jugendlichen einen Stab in die Hand, erklärte ihnen, wie man einen 4/4-Takt schlägt: „Bumm, Cafeteria, Parlament, Aufzug“, und dann durfte jeder mit dem Orchester Haydn dirigieren. „Ich bewegte meine Arme, und es kam ein Klang vom Orchester, das war fantastisch. Ich kann mich noch genau an das Gefühl erinnern.“ Panula, der ein gutes Auge für Fähigkeiten hat, die man nicht lernen kann, wählte drei Studenten für sein Pilotprojekt aus: eine Dirigierklasse für Jugendliche. Drei Jahre lang lernte Inkinen das Standard-Repertoire kennen, dirigierte drei Klaviere – Panula spielte das mittlere – und ab und zu das professionelle Hochschulorchester. „Das war eine gute Idee! Wenn man früh anfängt, wird es zur natürlichsten Sache der Welt.“

Doch anders als sein Mitstudent Mikko Franck, heute Chefdirigent der Finnischen Staatsoper, blieb Inkinen zunächst der Geige treu. Über eine Empfehlung Vadim Repins wurde er 17-jährig Schüler beim Meisterlehrer Zakhar Bron in Köln. Inkinen gewann Wettbewerbe, spielte in aller Welt – und dachte doch eines Tages, „das Sibelius-Konzert auf diesem Niveau zu halten, kann nicht alles sein. Jetzt möchte ich versuchen, ein richtiger Dirigent zu werden.“

Inkinen begann ein reguläres Dirigierstudium bei Panulas Nachfolger Leif Segerstam, sprang zu Beginn des zweiten Studienjahres bei den Helsinkier Philharmonikern ein – „und kurz nach dem Konzert war mein Kalender voll.“ Inzwischen dirigiert der 31-Jährige die großen Orchester der Welt.

Seit 2008 ist Inkinen Chefdirigent des New Zealand Symphony Orchestra, mit dem er im Herbst 2010 auf Europatournee ging. Und wer ein Konzert besuchte, dürfte nicht nur erstaunt gewesen sein über das hohe Niveau des Orchesters, sondern auch darüber, wie umsichtig und souverän Inkinen die hundert Musiker leitet. Mal inspiriert er sie mit kraftvollen Gesten, mal gibt er mit sparsamen Bewegungen Impulse. Eine natürliche Autorität geht von ihm aus, die nichts mit Arroganz zu tun hat. In Wellington schwärmt man davon, wie sich das Orchester unter Inkinen verbessert habe, und freut sich, dass er seinen Vertrag um drei Jahre verlängert hat. Pietari Inkinen ist ein freundlicher, ruhiger Mann, der allerdings keine einfachen Antworten gibt. „Es kommt immer aufs Orchester und das Repertoire an“, sagt er über seine Arbeitsweise. Mal beschränkt er sich in den Proben aufs Zeichengeben – die finnische Schule –, mal spricht er viel und inspiriert die Musiker mit Bildern. Bei manchen Orchestern lässt er viel Freiraum fürs Konzert, bei anderen nicht: „Wenn ich in der Probe merke, dass sie nicht sofort auf meine Zeichen reagieren, versuche ich so viel wie möglich vorzubereiten. Sonst kann es gefährlich werden.“ Und vielleicht ist es gerade diese Flexibilität („Man merkt sehr schnell, wie ein Orchester funktioniert.“), die ihn so erfolgreich macht.

Die meiste Zeit ist Inkinen unterwegs in aller Welt. „Die Kollegen haben mir gesagt, nach zehn Jahren im Karussell wird es leichter. Ich habe mittlerweile fast all die großen romantischen Sinfonien gemacht. Je mehr man kennt, desto einfacher wird es. Ich lerne schnell, aber ich weiß auch, wofür ich mehr Zeit brauche. 2013 mache ich meinen ersten Ring, und die Zeit bis dahin brauche ich auch.“

Und was macht die Geige? „In den letzten beiden Jahren habe ich nur noch sehr wenig gespielt. Wenn ich das Sibelius-Violinkonzert dirigiere, denke ich manchmal, schade, dass ich nicht der Solist bin. Aber das Repertoire für einen Dirigenten ist so viel größer. Wenn man einmal auf den Geschmack gekommen ist, gibt es keinen Weg mehr zurück.“

Album Cover für
Sibelius: Sinfonie Nr. 2 Karelia-Suite New Zealand Symphony Orchestra Pietari Inkinen (Leitung) Naxos

Termine

Auch interessant

Rezensionen

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!