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Porträt Pietro Massa

„Ich möchte spielen!“

Warum Pietro Massa lieber am Klavier statt am Uni-Schreibtisch Forschung betreibt

vonArnt Cobbers,

Es waren zwei Erlebnisse kurz hintereinander, die Pietro Massa dazu brachten, Pianist und nicht Musikwissenschaftler zu werden. Studiert hat er beides, dazu noch Altphilologie und Komposition, in seiner Heimatstadt Mailand und in Paris. Dann kam er 26jährig nach Berlin und promovierte an der Freien Universität über „Carl Orffs Antikendramen und die Hölderlin-Rezeption im Deutschland der Nachkriegszeit“. Zwei Tage nach seiner Disputation – Massa hatte ein Angebot, an eine amerikanische Universität zu gehen – gab er ein Konzert in Istanbul. „Der Dirigent lud mich nach dem Konzert in sein Zimmer und sagte mir: ,Pietro, als Professor hast du finanzielle Sicherheit, aber du wirst nach einigen Jahren das Feuer zu üben verlieren. Was willst du wirklich?‘ Und ich habe geantwortet: ,Ich möchte spielen!‘ Drei Tage später habe ich in Astana in Kasachstan das dritte Rachmaninow-Konzert gespielt. Mit einem russischen Dirigenten, einem russischen Orchester vor russischem Publikum. Ich war sehr angespannt, aber es lief wunderbar. Und beim Empfang hinterher stand der Konzertmeister auf und sagte: ‚So elegant und voller Kultur haben wir Rachmaninow noch nie gehört.‘ Egal, ob das stimmte oder nicht – das war der Moment, in dem ich mich endgültig von der akademischen Laufbahn verabschiedet habe, ich brauchte diese Bestätigung. Ich bin in Berlin gelandet als anderer Mensch. Und habe die Stelle in den USA abgesagt.“

Sechs Jahre ist das nun her, und Massa hat keinen Zweifel, dass die Entscheidung richtig war. „Es ist schwierig, aber ich mag die Herausforderungen, die mir die Musik und die Karriere jeden Tag stellen. Ein kleiner Sieg in der Musik gleicht zehn Niederlagen aus, soviel Energie gibt er einem.“

An Mut hat es Pietro Massa nie gefehlt. Sonst wäre er nicht 1999 nach Berlin gekommen, ohne ein Wort Deutsch zu können. „Heimat ist für mich nicht der Ort, wo man geboren ist, sondern wo man sich in Freiheit ausdrücken kann. Ich hatte das Gefühl, das war nicht Italien. Ich hatte das Bedürfnis, eine neue Heimat zu gewinnen. Und Berlin war für mich ein freier Boden, ein weißes Blatt. Hinzu kam: Ich wollte Hölderlin, Goethe, Thomas Mann im Original lesen, wollte die Sprache von Beethoven, Schumann und Bach kennenlernen. Geholfen, die deutsche Musik besser zu verstehen, hat mir das allerdings nicht“, sagt er und lacht.

Massa ist ein hochgebildeter Intellektueller, doch seinem Spiel hört man an, dass ihm der emotionale Zugang mindestens ebenso wichtig ist. Große Verdienste hat er sich in den letzten Jahren um das italienische Repertoire erworben: Er brachte Busonis Klavierkonzert wieder auf den Spielplan, spürte Castelnuovo-Tedescos zweites Klavierkonzert, das als verschollen galt, in einem Archiv in Philadelphia auf und setzt sich im Konzert und auf CD für Martucci, Zandonai, Petrassi, Dallapiccola und andere ein. „Die Hauptgefahr unserer Gesellschaft ist die Nivellierung im Denken und Empfinden. Alles, was neue Akzente setzt, ist für mich eine Art aufrichtiger demokratischer Widerstand. Ich spüre eine Verpflichtung dieser Musik gegenüber, das sind absolute Meisterwerke.“

Die Beschäftigung mit den wenig gespielten Werken ist für ihn aber kein Selbstzweck, die Abwechslung ist ihm wichtig: „Nach der Beschäftigung mit den unbekannten Werken sieht man das Hauptrepertoire wieder mit ganz anderen Augen. Man spürt, welches Gewicht diese Werke haben. Deshalb ist dieser Wechsel so wichtig.“

Deutschland und seiner Hauptstadt will er übrigens treu bleiben: „Ich möchte sehr gern einen Winter in Venedig erleben und einen Frühling in Lissabon. Aber in keiner Stadt auf der Welt fühle ich mich so frei wie in Berlin.“

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