Am 9. November sang René Pape in Berlin zum Jubiläum des Mauerfalls: Beethovens 9. Sinfonie als Nationalhymne für die Einheit. Ein erfüllter Wunschtraum für einen Sachsen, Jahrgang 1964.
Als Kruzianer hatte er im Schloss Pillnitz bei Dresden gesungen, aber dass er einmal ganz in der Nähe neben dem kurfürstlichen Anwesen leben sollte, das war unvorstellbar. Vor den großen Fenstern der Villa zieht die Elbe ihre Bahn. Der Sänger genießt jede einzelne Stunde in seinem Haus. Doch es gibt nicht viele Dresdner Stunden in seinem Leben. Sein Jahr setzt sich nicht aus Achtstunden-Werktagen plus Wohnzimmer-Feierabend zusammen, sondern aus Partituren, Proben und Auftritten in Berlin, München, Salzburg, Wien, London, Paris, Mailand und New York. Und aus Abflugzeiten. „Das ist verdammt anstrengend“, sagt der große Mann, der locker als Möbelpacker durchgeht. Ankunft kennt der Sänger nicht. Er gesteht vielmehr, dass er gern ankommen würde – endgültig ankommen in seiner Heimat.
Zunächst bekam der Dresdner mit 24 Jahren ein Engagement an der Staatsoper Unter den Linden in Berlin. Endlich raus aus der Enge, dachte er. Heute sagt er, jede Stadt besitze ihre Vorzüge und Nachteile. Große Städte wie Berlin pulsieren, aber sie wirken oft auch unangenehm gereizt. Genau wie New York. Das sei cool, schnell, offen, aber auch extrem kurzatmig. Die New Yorker verehren den Dresdner wie einen Popstar. Als einziger Deutscher erhielt er in den USA die Auszeichnung „Vocalist of the Year“ und wurde „Mastersinger of the MET“. Wenn er in der Nähe der Metropolitan Opera in ein Restaurant geht, stehen die Gäste auf und klatschen.
Der Sänger träumte von einem Ort, wo er zuhause sein kann
Seine Karriere war und ist atemberaubend. 1994 sang er erstmals in Bayreuth, seit 1995 an der MET, 1997 im Royal Opera House in London, 1998 an der Opéra National de Paris. Und immer wieder Wagner. Seine erste Partie war die des Nachtwächters in den Meistersingern, es folgten fast alle anderen Basspartien Wagners.
2001 änderte sich manches. Pape gab in Paris den Phillip in Don Carlo, seine Spielpläne reichten fünf Jahre in die Zukunft, jede Minute getaktet, ausgebucht bis auf die Knochen. „Ich konnte plötzlich nicht mehr, brauchte dringend Ruhe, ging für zwei Wochen in die Klinik. Heute nennt man so etwas Burnout“, sagt Pape, der zu jenen Menschen gehört, die nicht Nein sagen konnten und dabei vergaß, dass sie zwischen Zeitzonen, Premieren und Beifall auch mal einen Ruhepunkt brauchen. Das hatte er vergessen oder genauer gesagt, er hatte es nicht gewusst und vor allem lange nicht gemerkt. Spätestens da begann er von einem Ort zu träumen, wo er Kraft schöpfen kann, Zeit findet, wo Berge in der Nähe sind und Wasser. Er bekam eine Ahnung davon, dass dieser Ort nur in Dresden sein kann. Ging auf die Suche und fand sein Hosterwitzer Refugium, 2007 kaufte er die Villa an der Elbe. So gehen Lebensläufe. Im Foyer seines Hauses hängt ein Stich vonAugust III., und eine Büste Wagners steht da. In den Boden ließ der Sänger Buchstaben einsetzen, die einen Satz ergeben: Zum Raum wird hier die Zeit. So antwortet Gurnemanz Parsifal, als der sagt: „Ich schreite kaum, noch wähn‘ ich mich schon weit.“ Pape kommt immer wieder auf Wagner zurück, den Mann, der die längste Zeit seines Lebens in Dresden verbrachte, der hier zum großen Opernkomponisten wurde, die Stadt liebte und hasste und am Ende auf die Barrikaden ging, bis er per Steckbrief gesucht wurde und nach Bayern flüchtete. Ruhe fand er nur an der Elbe, wenn er mit seiner Frau und dem Hund spazieren ging. Hier findet die Zeit ihren Raum.