Mehr als 40 000 Mal wurde bis heute ein Video auf Facebook geteilt, in dem Roderick Cox das Minnesota Orchestra dirigiert, zu hören ist Tschaikowskys vierte Sinfonie. 2017 ging der Clip binnen kurzer Zeit viral, für den damals 29-Jährigen erfüllte sich am Pult ein seit Jugendtagen gehegter Traum. Dabei schien eine Karriere als Dirigent lange Zeit für ihn unerreichbar.
Aufgewachsen ist Cox in Macon, einer 150 000-Einwohner-Stadt im Süden der USA, sang dort im lokalen Gospelchor. Nach dessen Konzerten ließ er Spielzeugfiguren zu einem Chor werden, den er dirigieren konnte. Damals habe er sich jedoch höchstens vorgestellt, Bandleader zu werden. Zunächst lernte er Schlagzeug, entschied sich dann für das Horn und schaffte es damit ans College. Sein Ziel: Musiklehrer. Beim Vorspiel fürs Studentenorchester kam er zum ersten Mal mit Brahms und Dvořák in Berührung: „Von da an habe ich mich als aufmerksamen Zuhörer und klassischen Musiker gesehen.“ Mit dem ersten Abschluss in der Tasche ging Cox für den Master nach Illinois, wo eine Begegnung mit dem Dirigenten Victor Yampolsky wegweisend sein würde. Sein Talent führte ihn in der Folge zur renommierten Akademie des Aspen Music Festival and School in Colorado.
Künstlerische Wanderjahre
Doch allen Erfolgen und ersten Auszeichnungen zum Trotz, die Suche nach einer Stelle bei einem Sinfonieorchester gestaltete sich als schwierig. Ein Jahr lang reiste Cox von Vorspiel zu Vorspiel durch die USA, 2015 engagierte ihn schließlich das Minnesota Orchestra als Assistenzdirigenten, später als Stellvertreter von Osmo Vänskä. „Das bedeutete wirtschaftliche Unabhängigkeit, vor allem aber war es die Bestätigung, dass ich richtig in diesem Beruf bin, dass ich ihn beherrsche“, erzählt Cox. Manchmal müsse er sich kneifen, wenn er daran denke, mit welchen Orchestern er bereits zusammenarbeiten durfte. International hatte Cox 2018 mit dem Gewinn des Sir Georg Solti Conducting Award, der vor ihm unter anderem an Karina Canellakis verliehen wurde, auf sich aufmerksam gemacht. Sein Management riet ihm, nach Europa zu ziehen, und Cellistin Alisa Weilerstein empfahl ihm Berlin, wo Cox seitdem wohnt.
Es geht nicht um das Abhaken von Kontrollkästchen
Im Sommer dieses Jahres wurde er Musikdirektor im südfranzösischen Montpellier – und ist damit einer der wenigen farbigen Chefdirigenten überhaupt. „Ich will in erster Linie als Künstler wahrgenommen werden, nicht aufgrund meiner Hautfarbe. Aber seien wir ehrlich: Das Musikbusiness ist nicht so divers, wie es sein könnte und sein sollte.“ Dass etwa die Werke afroamerikanischer Komponisten wie Florence Price oder William Dawson im Konzertsaal unterrepräsentiert sind, liegt für ihn mitunter daran, dass es zu wenig afroamerikanische Dirigenten gibt, die sich für diese Musik einsetzten. Gleichwohl dürfe es auch nicht um das bloße Abhaken von Kontrollkästchen im Programm gehen. „Wir brauchen mehr künstlerische Neugierde an dieser Musik und ein ehrliches Interesse daran, ihre Sprache und ihre kulturellen Hintergründe mit dem Publikum zu teilen. Nur so kann eine echte Verbindung entstehen.“
Ein Recht auf Zugang zu Musik
Unverbrüchlich setzt sich Cox, der nach eigener Aussage selbst vom „fantastischen System der Musikvermittlung“ in seiner Heimatstadt profitiert habe, für das Recht aller Menschen auf Zugang zu Musik ein. 2019 gründete er eine eigene Initiative, die in der Zwillingsstadt St. Paul/Minneapolis junge schwarze Musiker aus unterrepräsentierten sozialen Schichten mit Privatunterricht, Mentoring und Stipendien für die Anschaffung von Instrumenten unterstützt. Als Musikdirektor in Montpellier kann sich Cox nun von seinem inneren Kompass und der Liebe zu eklektischen Programmen, die das Publikum auch herausfordern, leiten lassen. Und wer weiß, vielleicht geht ja der nächste Traum in Erfüllung: einmal Mahlers sechste Sinfonie dirigieren.