Überversorgt mit Kultur ist das Saarland nicht gerade – im Vergleich zu anderen Regionen Deutschlands. Umso monströser beherrscht dafür das riesige Staatstheater aus den dreißiger Jahren den Saarbrücker Schillerplatz und strahlt nicht nur in die Landeshauptstadt, sondern auch in die bewegte Geschichte des kleinsten deutschen Flächenlandes hinein. Das Dreispartenhaus bietet in normalen Zeiten durchschnittlich zwei Veranstaltungen pro Tag – ein immenser Kraftakt. Umso größer war der Verlust zweier Corona-Jahre, deren Beginn für Sébastien Rouland und sein Saarländisches Staatsorchester „einen schrecklichen Schock“ bedeutete. Dabei war der knapp Fünfzigjährige erst zum Spielzeitbeginn 2018 als Generalmusikdirektor berufen worden. Deswegen sind auch die Erinnerungen an den ersten Lockdown noch recht frisch, der ihn mitten in der ersten Bühnenorchesterprobe für „Das Rheingold“ traf: „Ich hatte gerade die Arme gehoben, als ein Kollege hereinkam und uns aufforderte, sofort das Haus zu verlassen.“
Drei Monate lang wurde fortan gar nicht mehr musiziert, sondern nur beraten. „Um unser Niveau zu halten, haben wir immer versucht zu probieren“, beschreibt Rouland die schwierige Zeit. Doch die Zusammenarbeit mit seinem Orchester beschreibt der Generalmusikdirektor als glücklich, weil sie nie den Kopf in den Sand steckten, auch wenn sie bis heute nie ganz genau wissen, ob Premieren, große Konzerte oder Tourneen werden stattfinden können. „Ich habe es mir verboten, die Situation als schwierig zu betrachten, sondern immer versucht, wie mein Büro auch stets an Bord zu bleiben.“ Dabei war für Sébastien Rouland auch seine Familie die größte Hilfe: „Wenn man ein kleines Kind zu Hause hat, das mit Lust am Leben seine Forderungen stellt, weiß man, wofür man da ist.“
Inzwischen kehrt das Publikum zurück, wenngleich die Zahlen noch nicht übermäßig zufriedenstellen wie vor der Pandemie. Aus seiner eigenen Erfahrung wisse er, dass immer wiederkommt, wer einmal Blut geleckt hat. Sébastien Rouland kam dereinst selbst über einen Operettenbesuch überhaupt zu seinem Berufswunsch. „Ich war mit vierzehn Jahren erstmals in der Pariser Operette, davor hatte ich keine Ahnung, wie schön Musiktheater ist.“ Dabei fehlt es ihm auch heute nicht an Demut: „Kunst zu machen ist ein schwieriger Beruf. Wenn man jeden Tag um seine Existenz kämpfen muss wie die vielen freien Kollegen, ist es schwierig, auch auf der Bühne gut zu sein.“
Mit großen Ambitionen und einem vielversprechenden Talent
Seine eigene Karriere hatte Rouland ohne Zugehörigkeit zu einer Musikerdynastie auf dem Cello begonnen – mit großen Ambitionen und einem vielversprechenden Talent. Dummerweise verletzte er sich beim Wurstschneiden unglücklich den Finger und mit ihm die Nerven, was ihm sehr schnell die Grenzen des Berufs aufzeigte. „Aber ich wollte ohnehin immer schon auch dirigieren, was ich dann mit neunzehn auch durfte.“ Nebenbei assistierte er in Opernproduktionen, und schon mit 22 stand er erstmals selbst am Pult. Seinem großen Vorbild Marc Minkowski etwa stand er acht Jahre zur Seite und leitete dabei auch dessen Chœur des Musiciens du Louvre. „So kann man sagen, ich habe von ihm meinen Beruf gelernt.“
In kürzester Zeit erarbeitete sich Rouland ein immenses Repertoire vom französischen Barock bis zu den deutschen Zeitgenossen. Seine Vorliebe gilt indes der französischen Musik. „Das hat aber nichts mit Blut zu tun, sonst wäre ich ja für Wagner schon disqualifiziert“, sagt er lachend. „Aber sie kombiniert sehr gut deutsche Orchestration mit italienischer cantabilità und theatralischer Lust.“ Diese Mischung lässt den Saarbrücker GMD besonders gern im Orchestergraben stehen, wobei er immer dafür plädiert, die Musik für sich sprechen zu lassen. „Gerade Barockopern mit ihren vielen Da-capo-Arien muss man gerade dann inszenieren, wenn die Handlung nicht weiterläuft.“ Da dürfe der Regisseur keine Angst, sondern müsse Vertrauen in die Musik haben. „Denn sie gibt doch schon wunderbar vor, was gemeint ist!“ Wenn sie denn aufgeführt werden darf.