Auch wer Shirley Brill bislang noch nicht als Konzertsolistin erlebt hat, dem könnte die Klarinettistin ob ihrer rotbraunen Lockenmähne doch schon aufgefallen sein – in einem Konzert von Daniel Barenboims West Eastern Divan Orchestra: Spielt die Israelin doch hier seit Jahren die Soli. Und auch sonst befindet sich die Professorin für Kammermusik an der Berliner „Hanns Eisler“-Hochschule im intensiven Austausch mit dem Maestro: „Jüngst, auf dem Flug zu einem Konzert in der Schweiz, haben wir uns sehr lange über die Berliner Klarinettenwelt unterhalten“, erzählt die Musikerin. „In den Proben ist er oft sehr streng, doch das war ein Gespräch unter Kollegen.“
Ein Zufall brachte Brill zu ihrem Instrument
Kommunikation gehört auch zu Brills großen Stärken und Leidenschaften – seit sie dereinst im Alter von zehn Jahren in ihrer Heimatstadt Petah Tikva östlich von Tel Aviv mit der Klarinette begann. „Ich wollte nicht nur alleine Klavier spielen, sondern lieber mit anderen zusammen musizieren.“ Denn das Kommunikative und Quirlige, das ihr damals beim Klavier fehlte, ist einfach Teil ihrer Persönlichkeit. Eben eine typische Klarinettistin: beweglich, zugewandt, auf jede neue Frage unmittelbar reagierend – und die wirbelnden rotbraunen Locken unterstreichen diese Lebendigkeit noch!
Dabei war die Idee mit der Klarinette damals eher einem Zufall entsprungen: Der Musikschulleiter der Kleinstadt hatte gerade einen neuen Klarinettenlehrer eingestellt, den er nun unbedingt empfehlen wollte. „Er war sehr gut, aber auch sehr streng“, erinnert sich Brill. „Wenn wir nicht geübt hatten oder er meinte, wir könnten es eigentlich besser, dann war er persönlich beleidigt.“ Und hinterließ bei ihr doch prägende Eindrücke: „Wenn ich heute privat zuhause unterrichte oder Meisterkurse gebe, merke ich spontan, dass ich das meiste von ihm übernommen habe: die Tonleitern, das Einspielen – er hat mir beigebracht zu üben.“
Musik, Geschichte, Politik
Dabei folgten später weit bekanntere Lehrer: Sabine Meyer etwa, unbestritten die First Lady der Klarinette, und heute ihr großes künstlerisches Vorbild. „Sie hat mir viel über musikalischen Stil und Eleganz und weichen Ton vermittelt – und vor allem hat sie mir beigebracht, erstmal zu schauen, was der Komponist von uns wollte.“ Seit Brill damals als 18-Jährige aus Israel nach Deutschland kam, hat sie hier viele Freunde gefunden und lebt heute mit ihrem Ehemann, dem Pianisten Jonathan Aner, in Berlin-Charlottenburg. Ihre Tochter wächst zweisprachig auf, hebräisch-deutsch: Die Auseinandersetzung mit der Geschichte ist der Musikerin einfach wichtig, die selbst oft Anfragen für Gedenkkonzerte bekommt. Besonders am Herzen liegt ihr hier das berühmte Quatuor pour la fin du temps, das Messiaen 1940 in einem deutschen Kriegsgefangenenlager bei Görlitz schrieb und das für sie untrennbar mit einem ihrer bewegendsten Konzerterlebnisse verbunden ist: Vor einigen Jahren spielte sie das Stück an einem 15. Januar – dem Jahrestag seiner Entstehung – in einem winterlich-kalten Zelt in der damals neu eröffneten Gedenkstätte in Görlitz. „Gerade für mich als Jüdin war das ein sehr berührender Moment.“
Musik, Geschichte, Politik: Eine Kombination, die der Klarinettistin wohl bekannt ist auch aus dem West Eastern Divan Orchestra, in dem Israelis und Palästinenser gemeinsam spielen. „Meine Eltern und andere Israelis wissen kaum etwas über die Sicht der Palästinenser“, sagt sie. „Man muss ja nicht immer einer Meinung sein, doch in diesem Orchester geht es darum einander zuzuhören – und das hat von Anfang an sehr gut funktioniert.“ Die Fähigkeiten zu kommunizieren und zu musizieren: Für Shirley Brill sind diese untrennbar miteinander verbunden.