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Porträt Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny

Genussvolle Gesellschaftskritik

Kurt Weills und Bertolt Brechts Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny feiert Premiere an der Musikhochschule

vonAlfred Kolbe,

Vertragen sich Opernkulinarik und Gesellschaftskritik überhaupt? Und wie! Gleich einer spielerischen Dialektik bringen Bertolt Brecht und Kurt Weill in Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny kaum vereinbare Gegensätze auf einen gemeinsamen musiktheatralischen Nenner. Denn die mitreißenden Songs, die ironischen Klassikzitate und die zeitgenössische U-Musik in lustvoller Verfremdung sind Weills wunderbare Zutaten zu Brechts gewitzt weltanschaulichem Libretto. Mahagonny sei ein Spaß, verkündet Brecht sogar.

Worum geht es darin? Durchaus um Genuss, ja, um Genusssucht. Es begegnen uns drei Existenzen, die steckbrieflich gesucht werden. Das sind die Witwe Leokadja Begbick, eine Kupplerin, Fatty, der Prokurist, und Dreieinigkeitsmoses, der falsche Prediger. Sie gründen die Stadt Mahagonny – die Stadt der Verführungen, die Stadt, in der alles erlaubt ist, jedenfalls für diejenigen, die es bezahlen können.

Mahagonny ist die Stadt der Sünde, in der es Liebe auf Bestellung an jeder Ecke zu kaufen gibt. Es ist eine imaginäre Stadt, im amerikanischen Westen von Goldgräbern mitten in der Wüste gegründet. Hier gilt die Devise: Geld ist geil! Und das Gesetz: Auf Armut steht die Todesstrafe! Unter dem Slogan „Du darfst!“ entsteht ein Mekka der Genusssucht. Fressen, Lieben, Boxen und Saufen sind tabulos möglich. Das Erfolgs-Duo Brecht und Weill, das kurz zuvor mit der Dreigroschenoper seinen ersten Welthit landete, erzählt eine moderne Version von Sodom und Gomorrha. Die Umwertung aller Werte in einer Welt der Bars und Bordelle und den Tod des Protagonisten Jim spiegeln sie sogar in einer gewagten Anspielung auf die Kreuzigung Christi. Als politische Parabel und opern-

ästhetischer Diskurs nach der Weltwirtschaftskrise entstanden, ist das Werk zudem noch immer eine genaue Analyse der Funktionsmechanismen menschlicher Zivilisation unter der Herrschaft eines moralfreien Marktes.

Wie inszeniert man heute diese Satire über die Herrschaft des Geldes – in einer Konsum- und Wegwerfgesellschaft? Der international erfolgreiche Regisseur Florian-Malte Leibrecht, der zugleich als Professor an der Musikhochschule wirkt, ist von der Aktualität der Oper überzeugt: „Brecht zeichnet das Bild einer dekadenten Gesellschaft, das auch unsere Zeit treffend charakterisiert.“ Plumpe Parallelen auf böse Banker – nach dem Motto „Geld macht sinnlich“ – zu ziehen, vermeidet Leibrecht indes bewusst. Er verlegt eine der erfolgreich-sten Opern des 20. Jahrhunderts in die 70er Jahre – jene „verrückte Flower-Power-Zeit, in der viele Freiheiten propagiert wurden, aber nichts damit erreicht wurde“, stellt der Regisseur fest. Im Quartett der Holzfäller werden uns dazu passend die Pop-Stars Elton John, Mick Jagger, David Bowie und George Michael begegnen. Für die Gesangsstudierenden der wieder exzellent besetzten Opernklasse entsteht die Herausforderung, ihre Charaktere wirklich ausspielen zu können und dabei selbst einigen Spaß zu haben: Der wird sich zweifellos auch auf das Publikum im Forum übertragen, das sich auf genussreiche Opernabende in der „Alsterphilharmonie“ freuen darf.

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