„Ich hatte in meinem Leben oft viel Glück“, wiederholt Stathis Karapanos während des Treffens in einem Hamburger Café. Ein lapidarer Satz, der bei dem 1996 geborenen Flötisten zugleich Ausdruck von Dankbarkeit ist und wie regelmäßiger Unglaube darüber wirkt, auf der großen Musikbühne mitzuspielen. Mit fünf Jahren überredete er seine Eltern, ihm eine Flöte zu schenken. Wie es dazu gekommen ist, wisse er nicht mehr. „Während meiner gesamten Ausbildung habe ich mich gefragt, ob das der richtige Weg ist, zumal die Flöte kein leichtes Instrument ist. Aber ich brauche sie einfach.“ Diese Liebe verdanke er seiner ersten Lehrerin am Nationalkonservatorium in Athen, Myrto Tsakiri. „Jede Stunde bei ihr war ein Event, zu dem ich gerne gegangen bin.“ Mit dem Umzug seiner Familie nach Bulgarien 2003 sollte sich das zunächst ändern. Lehrer lachten ihn aus, rieten seiner Mutter, einst Balletttänzerin in Karlsruhe, ihm das Instrument wegzunehmen. Seine Rettung war Georgi Spassov, Solo-Flötist des Sofia Philharmonic, der das Talent des damals „schüchternen“ Dreizehnjährigen erkannte und förderte.
2013 gelang ihm die Aufnahmeprüfung an die Musikhochschule Karlsruhe und in die Klasse von Renate Greiss-Armin, nicht zuletzt dank der „grenzenlosen Geduld und Unterstützung“ ihres Assistenten, Mathias Allin. „Ich war schockiert, was meine Kommilitonen alles wussten und konnten.“ Doch Karapanos holte auf, lernte in der Auseinandersetzung mit Stücken aus der Kompositionsklasse von Wolfgang Rihm, seinen eigenen Klang zu finden und schloss das Studium 2018 mit Auszeichnung ab.
Aus zwanzig Minuten wurden zwei Stunden
Zurück zum Glück. Im Nachgang eines Sommerfestivals auf Santorini, bei dem Karapanos kostenlose Privatstunden gab, vermittelte ein Schüler den Kontakt zu Christoph Eschenbach. Aus zwanzig Minuten wurden zwei Stunden Vorspiel und der weltbekannte Dirigent, mit dessen Aufnahmen Karapanos aufgewachsen ist, zu seinem Mentor. Seit dieser Begegnung in Baden-Baden im Dezember 2013 habe er ihn gecoacht und Chancen „im schwierigen Musikbusiness“ vermittelt. 2019 traten beide zum ersten Mal in Asien auf, ein Jahr später gewann Karapanos den Leonard Bernstein Award des Schleswig-Holstein Musik Festivals. „Ich war direkt von Stathis angetan, von seinem Charisma und seinem Spiel, das so farbenreich geworden ist“, sagte Eschenbach damals.
Auf die Frage nach der Inspiration antwortet Karapanos mit drei großen Namen, schickt jedoch voraus, dass es ihm nicht um deren Berühmtheit, sondern um deren tiefgehendes Verständnis gehe, von dem er als junger Musiker nur lernen könne: Zubin Mehta, Yutaka Sado und Manfred Honeck. Innerhalb weniger Wochen spielte er ihnen vor, die Termine habe er spontan nach Konzerten in der Garderobe arrangiert. Teils mit Erfolg über das jeweilige Feedback hinaus, Sado lud ihn zum Beispiel zu einer Tournee mit dem Tonkünstler-Orchester Niederösterreich ein.
Das jüngste Experiment: die japanische Shakuhachi
„Mein Traum ist es, die Musik bis ins kleinste Detail zu verstehen und ihr zu dienen“, schreibt Karapanos auf seiner Website und berichtet im Gespräch von seinem unbändigen Entdeckerdrang. Das jüngste Experiment: die japanische Shakuhachi. Und so wenig er sich auf ein bestimmtes Repertoire festlegen will, so gerne stöbere er jenseits gängiger Pfade. Auf Santorini improvisierte er gemeinsam mit der Band Jethro Tull, in Paris arbeitete er mit Vangelis zusammen. „Es ist schwer, eine Perspektive auf die Klassik zu haben, wenn man andere Genres nicht kennt.“ Sich weiterentwickeln bedeutete für ihn auch, nach einem Jahr eine Solistenstelle im Athener Staatsorchester aufzugeben und am Pariser Konservatorium bei Philippe Bernold nochmal zu studieren.
Ganz ohne Musik geht es bei Karapanos auch nicht in der Freizeit. So hegt er eine Vorliebe für musizierende Maler, komponierende Dirigenten und sinfonische Werke mit mythologischem Hintergrund, alles fein säuberlich in Listen auf dem Handy festgehalten. Neben dem Interesse für Kunstgeschichte und Mode wird Karapanos gelegentlich auch selbst handwerklich aktiv: Den hervorstechenden Schmuck für seine Konzertoutfits entwirft er selbst.