Sie haben Beethovens Vierte befreit, dann Schuberts Neunte entfesselt, nun wird Brahms’ dritte Sinfonie in ihr neues Klanggewand gehüllt. Die Künstler haben es sich zur Aufgabe gemacht das sinfonische Erbe zu rekomponieren, also kompositorisch zu bearbeiten, und Konzertkonventionen kreativ zu hinterfragen und aufzulösen. Beim STEGREIF.orchester gibt es keinen Dirigenten, keine Notenpulte, keine Notenblätter und keine Sitzplätze.
Das alles mag radikal anmuten, doch Juri de Marco, Projektgründer, Hornist und Rekomponist, relativiert: „Es ist nicht so, dass wir die Tradition abschaffen wollen. Wir hinterfragen sie lediglich und arbeiten beispielsweise ohne Dirigenten, weil wir finden, dass die Musiker selbst viel zu sagen haben.“ Das erfordere aber eine völlig andere Vorbereitung. „Kollektiv zu proben ist zwar nicht einfach, aber unsere Stärke. Die intensive Beschäftigung mit der gesamten Partitur, die sonst nur der Dirigent leistet, verlangen wir von allen Musikern.“
Für das STEGREIF.orchester sind Brahms‘ Melodien ungebunden
In welchem Umfang die federführenden Rekomponisten Juri de Marco, Alistair Duncan und der an der Hamburger Musikhochschule lehrende Jazzer Wolf Kerschek die Partitur bearbeitet haben zeigt sich im Brahms-Konzert: Dort erklingt zwar das Kernmaterial der ursprünglichen Komposition, die Bearbeitung ist aber ein sehr freies Werk. Deshalb kann das Publikum spüren, wie ungebunden die zentralen Melodien des Werkes sind und dass sie auch 135 Jahre nach Abschluss der Partitur noch immer nach einer „Wiedergeburt“ streben: Diese kann sich in einer lebendigen Interpretation des Originals vollziehen oder eben mittels eines Neuzugangs wie er hier gewählt wurde.
Die Arbeit des Kollektivs schildert de Marco mit den Worten: „Wenn man das Hauptthema des vierten Satzes anders rhythmisiert, ist man plötzlich in einem Kubanischen Groove oder Feeling.“ Während die Bearbeitung dieses Abschnitts Wolf Kerschek umgesetzt habe, kämen die stilistischen Einflüsse bei der Rekomposition aber aus allen denkbaren Richtungen: „Die Orchestermitglieder haben ganz unterschiedliche Hintergründe und so kommen Jazz, Elektro, Rock, Tanz und natürlich Klassik mit in das Projekt. Von der Freiheit dieser Vielfalt lassen wir uns durchströmen und richten uns an Menschen, die diese Freiheit entgegennehmen wollen.“
Ein musikalisches Wagnis
Deshalb ist auch das Zielpublikum völlig offen: „Es ist letztlich egal, ob es die Oma ist, die zu unserem neuen Salsa-Groove aus dem vierten Satz von Brahms tanzt, oder das kleine Kind, welches das Trompetenmotiv aus dem ersten Satz nachzuahmen versucht, oder der Hipster, der im zweiten Satz meditiert während wir eine ruhige Melodie spielen.“ Die Frage, ob man dieses klangliche Wagnis eingehen möchte, ist also weniger eine des Geschmacks als der inneren Bereitschaft.
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