Ton Koopman kommt aus dem Feiern nicht mehr heraus. 70 Jahre wird das Urgestein der Alte-Musik-Szene am 2. Oktober 2014, doch bereits im August während seiner Ferien im französischen Cheval, wo seine Familie seit langem ein Haus besitzt, wurde mit dortigen Bekannten, Ehefrau, Kindern und Enkeln schon einmal angestoßen. Ende September folgt nun eine vorgezogene Feier mit den holländischen Freunden in seiner Heimatstadt Bussum, und sein Amsterdam Baroque Orchestra lässt den Jubilar schließlich am 10. Oktober im Anschluss an ihr erstes Kinderkonzert hochleben. Dabei interessiere ihn das Jubelfest eigentlich herzlich wenig, meint der Niederländer schmunzelnd: „Andere Menschen beschäftigt dieses Datum viel mehr als mich …“
„Die Avantgarde hat mich eigentlich nie interessiert“
Was den Cembalisten, Organisten und Dirigenten interessiert, ist die Auseinandersetzung mit der Musik. „Ich fühle mich nicht wie 70 und habe auch keine Lust, zu Hause zu sitzen und die Geranien zu betrachten – die Arbeit geht weiter, und darauf freue ich mich.“ Als ihn seine Frau jüngst fragte, wann er denn aufzuhören gedenke, habe er nur gesagt: „Mal schauen, vielleicht wenn ich 85 bin.“ Schließlich gäbe es noch viele „schöne Sachen“ zu tun …
Und so ist Koopman insgeheim ganz froh, dass es noch keinen Nachfolger für seine Professur in Leiden gibt und er nun weiter dort unterrichten kann. „Auch wenn wir vielleicht nie alles finden werden, sollten wir Suchende bleiben, so wie es damals Gustav Leonhardt und Nikolaus Harnoncourt waren.“ Damals in den 60er Jahren, als die Originalklang-Bewegung ihren Anfang nahm – noch sehr akademisch, doch geradezu radikal missionarisch – und der Student Koopman an der Amsterdamer Hochschule Cembalo-Unterricht bei Leonhardt erhielt. Längst war für ihn da klar, dass seine Zukunft der Vergangenheit gehören würde: Schon als Sechsjähriger hatte der kleine Ton in Bachs Weihnachtsoratorium mitgesungen, später im Klavierunterricht sich vor allem Bach, Buxtehude und Frescobaldi gewidmet und war diesen Großmeistern auch treu geblieben, als er mit 14 seinen ersten Organistenjob übernahm. Das 19. und 20. Jahrhundert sei nie seine Musik gewesen, erinnert sich der Musikwissenschaftler, die Avantgarde gar habe ihn nie interessiert. Was die Alte Musik für ihn derart spannend macht, dass er nach der Aufnahme sämtlicher Bach-Kantanten nun auch die Einspielung aller Werke von Buxtehude abgeschlossen hat? „Es ist die Mentalität: Die Musikalität ist so umwerfend, so echt und unmittelbar.“
„Bach ist der größte Komponist, den es je gegeben hat“
Nur gelegentlich unternimmt er „eine Reise ins Exotische“, dirigiert Mendelssohn („das ist Musik, die ihre Wurzeln bei Johann Sebastian und Carl Philipp Emanuel Bach hat“) oder wird in diesem Jahr Beethovens Neunte zum ersten Mal in seinem Leben aufführen – und ist am Ende doch froh, „ins vertraute Land des 17. und 18. Jahrhunderts zurückzukehren“. Nicht zuletzt, weil hier eben der „zentrale Mensch der Musikgeschichte“ zu Hause war: „Bach ist der größte Komponist, den es je gegeben hat. Jedes Mal, wenn man ein Werk von ihm spielt, bekommt man fast einen Herzinfarkt, weil da eine Harmonie von Kopf und Herz herrscht, die unglaublich schwer zu erreichen ist.“
Nun, zumindest an seinem Ehrentag „droht“ kein „musikalischer Herzinfarkt“, denn bei aller Leidenschaft steht der Originalklang-Künstler am 2. Oktober weder auf einer Bühne, noch sitzt er in der Probe. Koopman wird allein mit seiner ganzen Familie daheim in Bussum gemeinsam „schön essen: Das ist ein Familientag, denn in Holland ist der Geburtstag eine reine Familiensache.“