Kammermusik und Frankreich, eine aparte Kombination. Paris, die Hauptstadt des 19. Jahrhunderts, duldete bekanntlich nur Salonmusik, Grand opéra und Cancan. Rein Instrumentales galt als deutsche Spezialität. „Der bloße Name eines französischen Komponisten – noch dazu eines lebenden! – genügte, um alle Welt in die Flucht zu schlagen“, erinnerte sich Camille Saint-Saëns, prominentestes Opfer des Pariser Geschmacks. Auch Deutschland begegnete dem Mann, der weit über 30 Kammermusikwerke geschrieben hat, mit Reserve. Reclams Kammermusikführer begnügte sich noch 1959 mit einem einzigen Satz über Saint-Saëns’ „Klaviertrio e-Moll”, während das „H-Dur-Trio” von Brahms zwei ganze Seiten füllt.
Französische Kammermusik? Lange Zeit undenkbar
Inzwischen hatten sich wenigstens in Frankreich die Perspektiven verschoben, vor allem durch Debussy und Ravel. 1955 geschah sogar etwas vollends Fantastisches: Die Herren Pressler, Guilet und Greenhouse, heute als epochale Trio-Formation gerühmt, gaben sich einen französischen Namen: Beaux-Arts. Die Welt stand Kopf. Sie kam erst wieder auf die Füße, als sich 1987 drei junge Franzosen „Trio Wanderer” tauften. Und im Jahr darauf prompt den ARD-Wettbewerb gewannen.
Eine Hommage an das deutsche Repertoire
Wanderer, das klingt nach Schubert, und Vincent Coq, der Pianist des Trios, leugnet diese Beziehung auch nicht, möchte jedoch den Ensemblenamen eher als „Hommage an das deutsche romantische Repertoire“ insgesamt verstanden wissen. Für die drei Studenten des Pariser Konservatoriums symbolisierte diese Figur darüber hinaus ihr Musikverständnis: Der Wanderer sei immer in Bewegung und kenne nicht das Ziel, so Coq. „Es ist auch eine Erforschung seiner selbst, der unbekannten Welt seines Bewusstseins.“
Wesentliche Forschungsergebnisse verdanken die Tripelbrüder aus Paris natürlich dem Beaux-Arts Trio, wem sonst. Insbesondere den legendären Menahem Pressler verehren sie als wundervollen Musiker und Lehrer. Am meisten beeindruckte sie, betont der Cellist Raphaël Pidoux, seine „vollständige und kompromisslose Hingabe an den Willen des Komponisten.“
Genauso maßgeblich finden sie die Ausweitung des Repertoires, die mit dem Namen Beaux-Arts verbunden ist. So entzücken einen auch die Wanderer mit durchaus unbekannten Stücken, etwa von Turina, Martinů und Louis Ferdinand von Preußen. Noch mehr entzückt die perlige, silbrige Intonation, die Farbschattierung der einzelnen Instrumente, die eine bislang ungehörte zweite und dritte Schicht der Textur enthüllen. Ihr Spiel vereint verblüffende Akuratesse und erfrischende Tempi mit einer unsentimentalen romantischen Aura. Während die deutsche Romantik von Natur und Metaphysik inspiriert sei, sagt Vincent Coq, habe die französische das cartesianische Erbe bewahrt. Diese Klarheit, stellt der Hörer erfreut fest, kommt auch ihren Interpretationen Beethovens und Schuberts zugute – Clarté ist kein Cliché, sondern die Essenz gallischer Kunst, übrigens auch der sogenannten impressionistischen.
Schwierig zu spielen, beeindruckend zu hören
Zum 25-jährigen Bestehen vor fünf Jahren hat das Trio Wanderer in Berlin alle Beethoven-Klaviertrios aufgenommen. Unter den zeitgenössischen Komponisten, berichtet der Geiger Jean-Marc Phillips-Varjabédian, widme man sich besonders Bruno Mantovani. „Wir haben ein Stück von ihm schon 30 Mal aufgeführt. Es ist sehr schwierig, aber sehr beeindruckend für das Publikum.“ Die Zeiten, da man mit französischer Kammermusik die Säle leer spielen konnte, sind unwiderruflich vorbei.