„Cello höre ich schon mein ganzes Leben.“ Was bei manch anderem nach allzu prosaischer Freiheit der Übertreibung klingen würde, trifft im Fall von Truls Mørk tatsächlich zu: Denn für den Cellisten gehörten die Dauerproben seines Vaters auf den tiefen Streichersaiten zu den allerersten Höreindrücken. In die Hand gedrückt bekam er das Instrument indes zunächst nicht, sondern musste sich regelrecht heranproben: über das Klavier, an dem ihn seine Mutter – selbst Pianistin – unterrichtete, über den Knabenchor und die Violine.
Mit zehn Jahren gelang es ihm dann, im vollen Terminkalender des Vaters eine Stunde für sich selbst zu reservieren. Kostbare Zeit, doch er wusste sie zu nutzen: War dem heute 54-jährigen doch schon damals klar, dass ihm das Cello näher stand als alles andere. „Ich hatte immer das Gefühl, dass ich mich über Musik besser ausdrücken kann als durch Worte.“
Die Musik war einfach da, sein Inneres der Resonanzraum – und je stiller es um ihn herum war, desto besser hörte er sie. Nun gibt es eben diese Ruhe zuhauf in Norwegen: ob nun in Bergen, wo Mørk die ersten fünf Lebensjahre verbrachte, oder an einem der vielen anderen Orte, an denen die umzugsfreudige Familie im Lauf seiner Jugend lebte. Wirklich einzigartig indes sei es rund um die Hütte seiner Eltern im Gebirge gewesen, erinnert er sich: inmitten von „unglaublicher Stille und weiten, freien Räumen“. Nur konsequent also, dass es ihn heute mit seiner eigenen Familie aus Oslo wieder ein Stück weiter in die Natur zurückzieht. Seine Tochter und die beiden Söhne sind fast erwachsen, da passt ein größeres Haus gut – am besten gleich in der Nähe von Fjorden, Booten und Wäldern.
Eine Schulterverletzung hätte seine Karriere fast beendet
Unmittelbar am Wasser, in Stavanger, hat Mørk auch sein eigenes Kammermusik-Festival gegründet – quasi als „Gegenpol“ zu seiner umfangreichen Solistentätigkeit. Eine Abwechslung, die ihn motiviert, ebenso wie die Vielfalt von klassischer und zeitgenössischer Musik. Er schöpft daraus umfassend, von Bach – dessen Werke er als „gesprächig“ empfindet – und Beethoven über Britten bis zu Lutoslawski und Rautavaara. Doch unabhängig von der Verschiedenartigkeit der Werke ist sein (ur)eigenes Anliegen überall dasselbe: die Botschaft notierter Musik zu verstehen, sich beim Spielen ganz hineinzufinden, sie von innen heraus zu entdecken – und das Publikum hierbei mitzunehmen. Ein sensibel austarierter Vorgang, den er selbst „Musik zum Leben erwecken“ nennt.
Doch wie gut ihm dies auch gelingen mag, ihm selbst scheint es meist unzureichend. Was auch für seine eigenen Aufnahmen gilt – und so hört er lieber die anderer Cellisten, schon allein ob deren Vielfalt. Seine Interpretationen interessierten ihn nur während der Aufnahme, so lang er diese noch verbessern könne – wobei seine Reaktion am Ende meist laute: „Bin ich das, der da spielt? Spiele ich diese Phrase so? Das gefällt mir nicht.“Mørk schont sich eben kein bisschen, gibt es Kritisierbares, so findet und korrigiert er es auf seinem Domenico Montagnana-Cello.
Seit nunmehr 30 Jahren begleitet ihn diese 1723 gefertigte Rarität aus Venedig: Ob Druck und Geschwindigkeit des Bogens oder der Kontaktpunkt zwischen Griffbrett und Brücke – er kennt das Instrument in- und auswendig, weiß genau, wie sich welche Klangfarbe, Nuance oder Stimmung erzeugen lassen. Wobei es „extremes Glück“ sei, dass er dies überhaupt noch könne: 2009 hatte ihn nämlich eine Nervenentzündung teilweise gelähmt. Erst nach eineinhalb Jahren erholten sich die Schultermuskeln und er konnte wieder ans Cello. Seither schätzt der Norweger sein Musikerleben noch mehr, selbst wenn er nie mit sich zufrieden ist – zumindest fast nie.