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Porträt Víkingur Ólafsson

Im Glass-Haus

Ausgerechnet mit einem weithin belächelten Komponisten mischt Víkingur Ólafsson derzeit die Klassikwelt auf. Ein Porträt über einen stillen wie extravaganten Künstler

vonJakob Buhre,

Wer bis vor kurzem im Katalog der Deutschen Grammophon nach Werken von Philip Glass suchte, wurde herb enttäuscht: Ein einziges Werk (das Violinkonzert Nr. 1) des beliebten US-Komponisten wurde bislang unter der gelben Kartusche veröffentlicht – vor 25 Jahren. Ein Umstand, der sich nun, rechtzeitig zum 80. Geburtstag von Glass im Januar 2017, ändert. Mit einem Paukenschlag. Denn dass ein Pianist sein Debüt beim Traditionslabel mit Etüden von Glass gibt, das kommt dann doch ziemlich überraschend.

Víkingur Ólafsson ist allerdings kein Newcomer. Der 1984 in Reykjavík geborene Pianist, der in seiner Heimatstadt und an der Juilliard School in New York studierte, hat 2012 in seiner Heimatstadt das „Midsummer Music“-Festival gegründet, unter Dirigenten wie Vladimir Ashkenazy gespielt, brachte mehrere Klavierkonzerte isländischer Komponisten zur Uraufführung und leitet seit 2015 das „Vinterfest“ in Schweden. Als er 2014 von Philip Glass eingeladen wurde, mit ihm gemeinsam zwei Konzerte zu bestreiten, war das Ólafssons erste Begegnung mit den Etüden. „Als ich die Einladung erhielt, spielte ich gerade das erste Klavierkonzert von Brahms. Und von Brahms zu Glass zu kommen war beinahe surreal. Weil diese Welten so unterschiedlich sind. Ich sah so viele Wiederholungen in den Noten,“ beschreibt Ólafsson seinen ersten Eindruck.

Glass’ missverstandene Kompositionen

Víkingur Ólafsson
© Ari Magg

Glass’ Etüden sind klar der Minimal Music verpflichtet, beinahe meditativ werden Akkorde und Phrasen wiederholt, es gibt keine virtuosen Läufe, keine dramatischen Attacken, keine verschachelten Fugen. Es sind Werke, die aufgrund ihrer einfachen Harmonik und der – vermeintlichen – Monotonie bei Kritikern einen schweren Stand haben. Und die von den großen Pianisten, egal welcher Generation, gemieden werden. Martha Argerich? Lang Lang? Evgeny Kissin? – Keiner von ihnen hat je Glass gespielt.

„Du musst deinen Weg finden, mit dieser Art von Komposition umzugehen“, erklärt Ólafsson. „Wenn man das nicht schafft, dann verstehe ich auch, dass man diese Musik nicht spielt.“ Ein wichtiger Schlüssel für ihn sei gewesen, die Stücke auswendig zu lernen. „Ich wollte ihre Struktur verinnerlichen. Je mehr mir das gelang, desto mehr wurde mir klar: Es gibt keine Wiederholungen in der Musik, nicht in dieser und auch nicht in anderer. Denn auch wenn du die gleichen Noten spielst, kehrst du nicht an den gleichen Ort zurück. Für mich ist das wie eine Spirale: Man bewegt sich vielleicht in die gleiche Richtung, aber du bist nicht mehr der gleiche wie vor fünf Minuten.“

Auf dem Sprung in die erste Pianisten-Liga

Diese Musik auf eine Plattform zu heben, wo sie nun einem breiten Publikum zuteil wird, damit ist Ólafsson ein Coup gelungen. Wenn auch nicht der erste. In Island hat er bereits zwei TV-Sendungen über klassische Musik ins Leben gerufen. Seine ersten beiden Alben mit furiosen Interpretationen von Brahms, Beethoven, Bach und Chopin hat er selbst produziert und auf den Markt gebracht. Das starke künstlerische Selbstbewusstsein hat auch etwas mit seiner Heimat zu tun. „Es ist ein großer Vorteil, dass in Island nur wenige Menschen leben. Dadurch haben wir alle so eine „Do-it-yourself“-Haltung, man wächst auf mit dem Gefühl: Alles ist möglich – wenn man bereit ist, dafür zu arbeiten und notfalls auch seine Freunde und Verwandten mit einzuspannen. Ich war zum Beispiel sehr enttäuscht, dass es bei uns im Fernsehen keine Klassik-Sendungen gab, wie Leonard Bernstein sie gemacht hat. Also habe ich meine eigene Serie konzipiert.“

Víkingur Ólafsson
© Ari Magg

Auch musikgeschichtlich sieht Ólafsson einen Vorteil: „Wir haben keinen Bach, Chopin, oder Mozart. Es gibt nicht die großen Diktatoren in der isländischen Musikgeschichte. Das bedeutet natürlich, dass man sich öffnen muss für die Dinge, die von außerhalb kommen.“ Die Offenheit vor allem gegenüber neuen Klängen sei ihm sehr wichtig, sagt Ólafsson. Und es ist ist diese Offenheit, die ihm letztlich auch zum jetzigen Sprung in die erste Pianisten-Liga verholfen hat.

Album Cover für
Glass: Opening aus „Glassworks“, Études (Auswahl) Víkingur Ólafsson (Klavier) Deutsche Grammophon

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