Den Aufstieg in die erste Orchesterliga hat das West-Eastern Divan Orchestra verblüffend schnell geschafft. 13 Jahre nach der Gründung scheint im Konzertplan keine noch so feine Adresse mehr zu fehlen, diesen Sommer geht es vom Münchner Gasteig in die Royal Albert Hall nach London, von der Berliner Waldbühne zu den Salzburger Festspielen usw. Überall auf der Welt wird die Idee der Gründer Daniel Barenboim und Edward Said, Musiker aus den verfeindeten Staaten im Nahen Osten in einem Ensemble zusammenzubringen, mit tosendem Beifall und Auszeichnungen bedacht.
Wie außergewöhnlich das Projekt ist, zeigt sich, wenn man sich mit beteiligten Musikern unterhält. Der Cellist Nassib Ahmadieh aus dem Libanon ist seit 2000 dabei – und begegnete im Orchester das erste Mal Menschen mit israelischem Pass. „Das war schon eine Anspannung, man ist neugierig, was die anderen zu erzählen haben, wie sie über den Konflikt denken. Ich weiß, dass ich mich mit manchen Kollegen bei politischen Fragen nie einigen werde, trotzdem hören wir einander zu und denken über die Geschichte des anderen nach. Man lernt, den anderen zu respektieren, obwohl er eine andere Meinung hat.“
Auch die israelische Klarinettistin Shirley Brill hat Nassib im Orchester kennengelernt, inzwischen spielen sie abseits vom Divan-Orchestra auch gemeinsam Kammermusik. „Viele Freundschaften, die man im Orchester schließt, sind noch enger als normal, aufgrund der extremen Geschichte drumherum fühlt man sich noch verbundener“, sagt Brill und berichtet von den vielen Gesprächen, die untereinander geführt werden. „Ich habe auf einem Flug nach Südamerika lange mit einem ägyptischen Kollegen gesprochen und so viel über den Islam erfahren und als ich einmal ein Zimmer mit einer arabisch-stämmigen Musikerin teilte, haben wir die ganze Nacht diskutiert.“
Brill und Ahmadieh informieren sich täglich über die Nachrichtenlage in ihrer Heimat, die auch immer wieder Einfluss auf den Orchesterbetrieb hat. Während des Libanonkrieges 2006 blieb der Cellist dem Orchester fern, der Druck aus der Heimat sei zu groß gewesen, sagt er. Auch komme es immer wieder zu kurzfristigen Programmänderungen, wenn beteiligte Musiker keine Reiseerlaubnis erhielten. Brill berichtet zudem über iranische Musiker, die sich auf Anordnung ihrer Regierung aus dem Orchester zurückzogen, während einige Syrer ihre Teilnahme an Konzertreisen vor Bekannten in der Heimat oft verheimlichen würden.
Hinzu kommt, dass Auftritte des Divan-Orchestra in den Heimatländern der Musiker nach wie vor unmöglich sind, weder dürfte Nassib mit libanesischem Pass nach Israel, noch Shirley nach Libanon einreisen. „Zwischen unseren Ländern ist Kriegszustand“, sagt Nassib. Einzig in Ramallah in den Palästinensergebieten gab man 2005 ein viel beachtetes Konzert – möglich wurde dies nur, weil die spanische Regierung das gesamte Orchester mit diplomatischen Pässen ausgestattet hatte.
Beide Musiker hoffen, dass eines Tages auch in ihrer Heimat Konzerte stattfinden können, doch es scheint noch immer ein langer Weg dorthin. „In Bezug auf die Politik denke ich nicht, dass sich die Lage in naher Zukunft verbessern wird. Doch auf menschlicher Ebene findet bereits eine Annäherung statt, viel mehr als noch in den 80er Jahren“, sagt Nassib. „Auf beiden Seiten entsteht heute eine Generation, die mehr voneinander weiß, die auch mehr Kontaktmöglichkeiten hat, durch das Internet und Austauschprogramme.“
Natürlich ist auch das Orchester selbst zum Symbol der Hoffnung geworden, nicht zuletzt weil sein internationaler Erfolg vor allem eines verdeutlicht: den Wunsch des Publikums, dass diese Musiker Recht haben und ein friedliches Zusammenleben möglich ist.