Startseite » Porträts » Wider jede Routine

Porträt Neue Philharmonie München

Wider jede Routine

Orchesterspiel ohne „Dienstgehabe“: In der Neuen Philharmonie München bekommen Studenten von Profis den letzten Schliff fürs Berufsleben

vonMaximilian Theiss,

Und über allem schwebt der Geist Sergiu Celibidaches: als Lehrer ein Idealist, der für Unterricht kein Geld verlangte, als Dirigent ein Arbeitstier, dem zwei, drei Proben, wie heute bei Profi-Orchestern üblich, nie genug waren – Franz Deutsch hat den Maestro früh in München erlebt und nennt diese Konzerterfahrungen sein „Schlüsselerlebnis“. „Die Konzerte der Münchner Philharmoniker, die so weit weg vom Routinebetrieb waren, haben mich berührt wie bei keinem anderen Orchester. Das hat mir den Schub gegeben, auch so etwas machen zu wollen.“

Aus der großen, weiten Welt ins beschauliche Icking

 

Aus dem „so etwas“ entstand 2005 die Neue Philharmonie München, das Aushängeschild der Musikwerkstatt Jugend. Seit 2007 ist Deutsch Vorsitzender des Vereins, der aus drei Orchestern besteht: dem Kinderorchester Isartal, der Sinfonietta Isartal für Jugendliche und eben der Neuen Philharmonie, einem international besetzten Orchester für Musikstudenten. Streng projektbezogen arbeiten hier die Berufsmusiker in spe: nicht ein- oder zweimal pro Woche, sondern blockweise in intensiver Probenarbeit. Von Anfang an wollten Deutsch und seine drei Mitinitiatoren „hin zur Tiefe der Musik, weg vom Dienstgehabe und Dienstschieben. Stattdessen ist unser Ziel, ehrliche, kreative Musik zu schaffen.“ Unwillkürlich wandern die Gedanken da wieder zum einstigen Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker, der sich stets jeder Form von Routine versperrte, weil seiner Auffassung nach Musik spontan und nur im Augenblick entstehen kann und sich nicht festhalten lässt.

 

Diese spezielle Art der Probenarbeit hat hier natürlich auch einen ganz praktischen Grund: Obgleich der Sitz des Vereins im beschaulichen Icking in Oberbayern liegt, soll die Neue Philharmonie möglichst international – und damit auch hochkarätig – besetzt sein. Eine allwöchentliche Anreise wäre da unmöglich für die meisten Mitglieder, die in ganz Europa verstreut leben. 

Große Pläne auch ohne einen Hauptsponsor

Eben diese Internationalität ist aber ein zentraler Bestandteil des Orchesters, das ursprünglich denn auch „ensemble interculturel“ hieß; doch das Wort „ensemble“ passte nicht so recht zu einem achtzigköpfigen Klangkörper, und so entschieden sich die Macher für den Namen Neue Philharmonie München.

 

Ein weiterer Kerngedanke des Konzepts findet sich im Bildungsauftrag des Orchesters wieder – nicht nur für die Zuhörer, sondern vor allem für die Musiker. So hat jede Stimmgruppe ihre eigenen Dozenten, die sich aus den großen Münchner Orchestern zusammensetzen und in Einzelgruppen die Studenten schulen. „Profis, die mitten im Berufsleben stehen, können den angehenden Musikern, die ja auch langsam an ihre ersten Probespiele denken müssen, den letzten Schliff geben“, sagt Deutsch. Und auch dem breitgefächerten Repertoire liegt eine pädagogische Idee zugrunde: Beschäftigen sich die jungen Musiker doch so in einem Projekt ausschließlich mit Bach, im nächsten mit Filmmusik, während sie sich dann in den kommenden drei Konzerten mit Mahler und Bartók befassen.

 

Um all diese Projekte auch finanzieren zu können, sind auf den meisten Posten im Verein die Mitglieder ehrenamtlich tätig – von der kompletten Verwaltung über die Pflege der Website bis hin zum Design der Plakate und Flyer. Was dennoch an Kosten anfällt, wird aus Sponsorengeldern bestritten, da die öffentliche Zuschüsse höchst bescheiden sind. Dass da ausgerechnet im Jubiläumsjahr der Hauptsponsor abgesprungen ist, mag zwar mittelfristig ein Problem darstellen, hält das Orchester aktuell indes nicht von großen Plänen ab: Kommenden Sommer wollen sie Verdis Nabucco auf die Bühne des Oberammergauer Passionstheaters bringen.

Auch interessant

Rezensionen

  • International als Solistin und Kammermusikpartnerin gefragt: Raphaela Gromes
    Interview Raphaela Gromes

    „Nicht enden wollende Energie“

    Raphaela Gromes hat mit dem Ukrainischen Nationalorchester Antonín Dvořáks Cellokonzert eingespielt – für die Cellistin in vielerlei Hinsicht ein bewegendes Projekt.

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!