Nicht jeder, der früh als Talent erkannt wird, reift zum wahren Meister. Yevgeny Sudbin jedoch hat das Versprechen eingelöst und zählt mit gerade einmal 31 Jahren zu den besten Pianisten nicht nur seiner Generation.
„Die Zukunft liegt in seinen Händen“, hieß 1994 die Überschrift meines ersten Artikels über Sudbin. Der 14jährige war fünf Jahre zuvor mit seiner Familie von St. Petersburg nach Berlin übergesiedelt, hatte nun höchst überlegen einen ersten Preis beim Bundeswettbewerb „Jugend musiziert“ gewonnen und mit einer musikalischen Ernsthaftigkeit beeindruckt, die für einen Jugendlichen geradezu außergewöhnlich erschien. Seinen „Namensvetter“ Yevgeny Kissin nannte er übrigens damals als großes Vorbild.
Sudbins Lebensweg verlief anders. Er wurde nicht – wie Kissin von Karajan – bereits als Teenager der Weltöffentlichkeit präsentiert. Er studierte in Berlin als Jungstudent an der Hochschule „Hanns Eisler“ bei Galina Iwanzowa und regulär bei Christopher Elton an der Royal Academy of Music in London. Den letzten Schliff holte er sich am Comer See, wo er als Stipendiat der Internationalen Klavierakademie mit Pianisten wie Leon Fleisher, Dmitri Bashkirov und Fou Ts’ong arbeiten konnte.
Ähnlich wie Kissin brauchte aber auch Sudbin keinen großen Wettbewerb zu gewinnen, um eine internationale Karriere zu starten. Denn sein Erfolg liegt zum Großteil in seinen CD-Einspielungen für das Label BIS begründet, die weltweit hervorragende Kritiken und Schallplattenpreise erhielten und viele Konzertverpflichtungen nach sich zogen.
Bereits bei seinem CD-Debüt 2004 mit Scarlatti-Sonaten glänzte der damals 24jährige mit einer Anschlagskultur, die seinen Namen direkt in eine Reihe mit Scarlatti-Interpreten wie Wladimir Horowitz, Mi-khail Pletnev oder Christian Zacharias stellte. Acht Recital- oder Orchesterproduktionen hat Sudbin seitdem bei BIS vorgelegt, dabei ein Repertoire von Haydn bis Skrjabin ausgeschritten. Und immer wieder zeigt sich: Sudbin ist bei aller Brillanz kein virtuoser Haudrauf, vielmehr ein feinsinnig-intelligenter Gestalter, mit sensiblen Differenzierungen in der Dynamik, mit fein ausgeleuchteten Farben und Gespür für singende Kantilenen. Sudbins Klavierstil hat viel mit dem von Grigory Sokolov gemein, wirkt aber eine Spur spontaner. Trotzdem ist es wohl kein Zufall, dass Sudbin zuletzt Sokolov als Vorbild nannte.
Dabei wird Sudbin in Deutschland mittlerweile von derselben Agentur wie Sokolov vertreten. Und er tritt genauso selbstverständlich mit Orchestern in Minnesota, Seattle, San Francisco oder Indianapolis auf wie mit den Warschauer Philharmonikern, dem BBC Philharmonic, dem London Philharmonic oder nun den Hamburger Symphonikern. Beethovens „Emperor“-Konzert – in Hamburg auf dem Programm – hat Sudbin übrigens schon prachtvoll auf CD eingespielt.
Ganz aktuell ist Sudbins erste Chopin-Aufnahme erschienen: Erneut präsentiert er sich als musikalischer Feingeist. Und wenn er ganz natürlich den heroischen Ton der f-Moll-Fantasie trifft, dann ist Yevgeny Sudbin dem Vornamens-Vetter und Vorbild aus Jugendtagen auf einmal musikalisch ganz nah.