Das Mauerfallkonzert vom 12. November 1989 gehört zu den markantesten musikalischen Ereignissen im Europa der Nachkriegszeit und gilt unter Mitgliedern der Berliner Philharmoniker noch immer als das Konzert schlichthin. Drei Tage nach dem Fall der Berliner Mauer gaben die Philharmoniker und ihr Dirigent Daniel Barenboim spontan ein Konzert für die Bürger der DDR. Als Eintrittskarte genügte der Personalausweis. Viele von ihnen betraten in der Berliner Philharmonie zum ersten Mal westdeutschen Boden. Jahrzehnte später gibt es noch immer viel Trennendes – und gleichzeitig unzählige Wege, diese zu überwinden. Einer davon führt über die Musik. Viele Konzerte zum Gedenken an den Mauerfall vor dreißig Jahren findet man besonders in Kirchen und Konzertsälen der neuen Bundesländer.
Vor allem in Berlin sind die Erwartungen an das Jubiläum hoch. Zum 30. Jahrestag verwandelt sich die Hauptstadt eine Woche lang in eine große Open-Air-Bühne. Der Höhepunkt am 9. November wird mit einer vielfältigen Bühnenshow direkt am Brandenburger Tor gefeiert, bei der Zeitzeugen, Performer und Musiker aller musikalischen Genres mitwirken. Auch die Singakademie Dresden zieht Bilanz und diskutiert mit Musikern über Möglichkeiten und Herausforderungen.
Ein Ensemble für die ganze Stadt
Doch auch Leipzig und Kurt Masur hatten im Sommer 1989 eine tragende Rolle. Bereits im Sommer griff der Gewandhauskapellmeister die gesellschaftlichen Diskussionen auf und eröffnete den Dialog im Format „Begegnung im Gewandhaus“. Seine erste Veranstaltung war den Straßenmusikern gewidmet, die während eines Straßenmusikfestivals am 10. Juni 1989 von den Staatsorganen brutal verhaftet und aus der Stadt vertrieben wurden. An diese Ereignisse erinnert die Sonderausstellung zur friedlichen Revolution in der Remise des Mendelssohn-Hauses.
Eine weitere Möglichkeit der Annäherung besteht schlicht darin, neue Bekanntschaften zu knüpfen. Das haben sich wohl auch vier ostdeutsche Frauen und vier westdeutsche Männer gedacht: Das Klenke Quartett trifft auf das Auryn Quartett und feiert mit einem Programm zwischen Ost und West die Wiedervereinigung. Einen ganz pragmatischen Weg hat hingegen der Rundfunkchor Berlin in den letzten dreißig Jahren zurückgelegt. Denn im Westen Berlins gab es schlichtweg kein vergleichbares Ensemble, und so wurde der Chor schnell zu einem Ensemble für die ganze Stadt. Das wird in der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche mit Anton Bruckners eindrucksvoller zweiter Messe gefeiert.
Wiedervereinigung der geteilten Neunten
Doch ist es vor allem ein Komponist, der untrennbar mit der Wiedervereinigung verbunden ist: Ludwig van Beethoven. Sinnbildlich steht dafür die Original-Partitur seiner neunten Sinfonie, die ebenfalls von der Trennung betroffen war: Kurz nach Beethovens Tod zerstreute sich das Autograf in alle Himmelsrichtungen. Erst 1977 waren alle Teile wieder in einer Stadt vereint – aber sie lagen in den zwei Hälften des geteilten Berlins. Nachdem 1997 die Bestände der Musikabteilung der beiden Berliner Staatsbibliotheken wieder zusammengeführt wurden, fanden auch die auseinandergerissenen Notenblätter wieder zueinander.
Legendär wurde auch Leonard Bernsteins Engagement im Wendejahr. Er eilte nach Berlin, um mit Musikern aus aller Welt die neunte Sinfonie aufzuführen, einmal im Osten und einmal im Westen. Bernstein nahm einen kleinen, aber wirkungsvollen Eingriff im Text vor: Wo es in Schillers Ode und damit ebenso im Finale der Sinfonie „Freude schöner Götterfunken“ heißt, ersetzte Bernstein „Freude“ kurzerhand durch ein anderes Wort: „Freiheit“.
Eleonore Büning über Leonard Bernsteins Version von Beethovens neunter Sinfonie zur Wiedervereinigung: