Nicht nur unter Werbefachleuten, auch im Volksmund kursiert die Binsenweisheit, dass es beim Verkauf einer Sache zuallererst auf die Verpackung ankommt. Klassiklabels wie die Deutschen Grammophon wissen, dass ein Produkt Aufmerksamkeit braucht. Die zu bekommen, ist heute schwerer denn je auf einem schier unüberschaubaren Markt mit ständig neuen Künstlern. Im ersten Jahrzehnt nach dem Krieg sah das noch anders aus: Ein breiter senkrechter Balken in leuchtendem Gelb, auf dem oben das Logo mit der stilisierten Tulpenkrone prunkte, gab allen Veröffentlichungen dieselbe äußere Erscheinung. Erst Ende der 1950er Jahre ging man dazu über, Plattenhüllen grafisch zu gestalten, wobei das neue Firmenlogo jetzt als gelbe Kartusche das obere Drittel des Cover-Designs einnahm.
Das änderte sich, als die Langspielplatte von der Compact Disc verdrängt wurde. Die Fläche, die den Grafikern jetzt zur Verfügung stand, entsprach nur noch knapp dem vierten Teil einer LP. „Mitte der 1990er Jahre gab es rege Diskussionen, ob man die große Kartusche nicht ganz abschaffen soll“, erinnert sich Fred Münzmaier, der von 1995 bis 2011 als Art Director und ab 2003 als Head of Creative Services für das Cover Design bei der Deutsche Grammophon tätig war. „Den Anstoß dazu gab Anne-Sophie Mutter, als sie sich ein schönes Cover-Design wünschte, auf dem sie gut zu sehen ist.“
„Ein Konzeptalbum ist die schönste Herausforderung“
Für den Geigenstar wurde die Kartusche erstmals auf Briefmarkengröße geschrumpft. „Für uns Grafiker war das ganz toll, weil die Gestaltungsmöglichkeiten dadurch viel größer wurden“, erzählt Münzmaier, der heute auf selbständiger Basis für das Label arbeitet.
In der Regel zieren bei Neuaufnahmen Künstlerfotos die Vorderseite der CD-Hülle. „Was wie und wo fotografiert wird, richtet sich nach dem Thema des Albums. Ist es eher romantisch, eher elegant, oder erzählt es eine Geschichte, wie Magdalena Koženás „Love Letters“ oder Daniel Hopes „Air“? Solche Konzeptalben sind für uns Grafiker die schönsten Herausforderungen, weil man sich dazu gemeinsam mit dem Fotografen richtig etwas ausdenken kann“, schwärmt Münzmaier, während wir auf dem Laptop die 120 Original-Cover-Bilder jener CDs sichten, die zum 120-jährigen Geburtstag der Deutschen Grammophon nun in einer Jubiläumsbox wiederveröffentlicht werden.
Der große Name gibt dem Künstler Rückhalt
Einige Perlen dieser grafischen Wundertüte gehen auch auf Münzmaiers Konto. Auffällig ist zum Beispiel das Album „Duets“, das im Jahr 2006 die Opern-Stars Anna Netrebko und Rolando Villazón als Traumpaar der Klassik in Szene setzt: sie mit dem Kinn auf seiner Schulter. Entspannt-vertrauliches Posieren – wie auf einem familiären Urlaubsfoto. Ebenfalls in den Blick fällt sofort die Live-Aufnahme von Lang Langs Carnegie-Hall-Konzert im Jahr 2003. Der Pianist geht – sein Name in knallig-gelber Plakatschrift gibt ihm Rückhalt – an den Schaukästen des New Yorker Konzerthauses vorbei, in denen sein ausverkaufter Auftritt angekündigt wird. Die Botschaft: Dieser junge Pianist zählt schon jetzt zu den ganz Großen, denn er ist dort angekommen, wo alle hin wollen: im wichtigsten Konzertsaal der USA.
Ganz anders präsentiert sich die junge Hélène Grimaud auf ihrem 2002 erschienenen Album „Credo“. Das Management bestand darauf, eine berühmte Fotografin zu engagieren: die Französin Sarah Moon. „Das ist immer sehr schwierig, weil solche gefragten Leute nie viel Zeit haben. Zehn Minuten in einem Hotelzimmer – das war es dann. Am Ende hatten wir nur drei Bilder zur Auswahl“, erinnert sich Münzmaier. Das Ergebnis kann sich aber sehen lassen. Wie aus dem Gemälde eines flämischen Renaissancemalers blickt die Pianistin den Betrachter an: kontemplativ, vieldeutig, geheimnisvoll.
Früher war das Cover-Design noch sehr aufwendig
Apropos Gemälde: In den 1950er und 1960er Jahren wurde das Cover-Design zum Teil noch sehr aufwendig illustriert. So wurde Mozarts „Jagdquartett“ mit einer historischen Jagdgesellschaft und Tschaikowskys „Pathétique“ mit einer winterlichen Abschiedsszene künstlerisch ansprechend visualisiert. „Dass man das Werk in den Vordergrund stellt und sich dazu etwas Grafisches ausdenkt, ist heute sehr selten geworden und geschieht höchstens noch bei Serien oder Opernaufnahmen, an denen keine großen Stars beteiligt sind“, bedauert Münzmaier.
„Die meisten Werke liegen ja bereits in etlichen Aufnahmen vor. Daher ist man der Meinung, dass das Interesse für eine Neuerscheinung nur über die Persönlichkeit des Künstlers geweckt werden kann.“ Im Ausnahmefall gehen Künstlerporträt und Illustration aber auch Hand in Hand, wie bei der neuen Aufnahme von Bernsteins Sinfonie „The Age of Anxiety“ mit Krystian Zimerman, für die Münzmaier den Pianisten vor gestreiftem Hintergrund im Halbprofil grafisch porträtiert hat. „Mit Sonnenbrille – das sieht ziemlich cool aus!“ Kombiniert wird der moderne Look mit der traditionellen großen Kartusche, die inzwischen wieder häufig auf CD-Hüllen zu finden ist – was wohl den verkleinerten Cover-Bildern der Streaming-Dienste geschuldet ist.
Wie ist es um die Grafik in Zukunft bestellt, wenn die Gestaltungsfläche immer kleiner wird? „Man muss abwarten, wie es mit der klassischen Musik jetzt weitergeht. Wenn es keine CDs mehr gibt, wird die Optik nicht verschwinden, aber sich nochmals verändern. Denn irgendwie muss man ja kommunizieren und visualisieren, dass die Musik jetzt zur Verfügung steht. Ich könnte mir vorstellen, dass Videoclips in Zukunft noch wichtiger werden.“