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Finale des Gesangswettbewerbs „Neue Stimmen“

Die Messe des Operngesangs

(Gütersloh, 15.10.2017) Die Bertelsmann Stiftung veranstaltet seit 30 Jahren einen der wichtigsten internationalen Gesangswettbewerbe, der nicht einfach nur Fördergelder verteilt, sondern einer Kontaktbörse der Opernszene gleicht – sechs strahlende Sieger aus sechs Nationen setzten sich jetzt im Finale durch

vonPeter Krause,

Die Liste bisheriger Preisträger des Gesangswettbewerbs „Neue Stimmen“ liest sich das Who ist Who der aktuellen Opernszene: Bayreuths Wotan Michael Volle gehört ebenso dazu wie Wagner-Bass René Pape, die lettischen Sopranistinnen Kristīne Opolais und Marina Rebeka heimsten ebenso Preise ein wie Londons sehr junge und sehr gute aktuelle Mimi, Nicole Car, oder Countertenor Franco Fagioli. Ob wir von den drei jungen Sängerinnen und drei jungen Sängern aus sechs verschiedenen Nationen, die jetzt das Rennen gemacht haben, schon bald in diesem Maße hören werden? Das wird sich zeigen müssen. Einstweilen gilt: Nicht nur dem Geldbeutel hilft es, sondern die eigene Biografie schmückt es, sich in einem der wichtigsten wie am besten dotierten internationalen Gesangswettbewerbe durchzusetzen. Beworben hatten sich diesmal 1430 Hoffnungsträger aus 76 Ländern. Für die Endrunde im Bertelsmann-Stammsitz Gütersloh hatten sich 42 zukünftige Opernsänger qualifiziert. Zehn traten jetzt im Finale, begleitet von den Duisburger Philharmonikern unter Graeme Jenkins, gegeneinander an.

Präsidentin Liz Mohn weist stolz auf das Erfolgsmodell des Wettbewerbs hin

Das Augen- und Ohrenmerk auf den damit zu Ende gegangenen Wettbewerb war überdurchschnittlich. Schließlich führt die Bertelsmann-Stiftung den Wettbewerb „Neue Stimmen“ seit nunmehr 30 Jahren durch. Entsprechend hochgestimmt wies Liz Mohn als Präsidentin der „Neuen Stimmen“ auf die Erfolge einer nachhaltigen Nachwuchsförderung hin. Denn hier wird ja nicht nur öffentlichkeitswirksam Fördergeld verteilt, hier erhalten junge Künstler individuelles Coaching und Beratungsgespräche, gerade dann, wenn’s für einen Preis dann doch nicht gereicht haben sollte. Und Agenten wie Vertreter von Opernhäusern sind verstärkt anwesend, um als veritable Trüffelschweine die potentielle nächste Netrebko möglichst schnell an sich zu binden und nicht an die Konkurrenz zu verlieren. Der Wettbewerb ist kein L’Art pour L’Art, er ist Messe, Kontaktbörse. Und die hilft nicht zuletzt den Sängern selbst.

Neue Stimmen 2017: Preisträger, Liz Mohn (Initiatorin und Präsidentin der NEUEN STIMMEN, 4. v.l.) und Dominique Meyer (Direktor der Wiener Staatsoper, Vorsitzender der Jury, 3. v.r.)
Neue Stimmen 2017: Preisträger, Liz Mohn (Initiatorin und Präsidentin der NEUEN STIMMEN, 4. v.l.) und Dominique Meyer (Direktor der Wiener Staatsoper, Vorsitzender der Jury, 3. v.r.) © Besim Mazhiq/Berstelsmann Stiftung

Eine entscheidende Kompetenz-Komponente fehlt der prominent besetzten Jury

Die Zusammensetzung der Jury ist vor diesem Hintergrund Segen und Fluch zugleich. Unter den zehn durchweg prominenten Mitgliedern dieser Expertenrunde dominieren die Opernmanager, an deren Spitze mit Dominque Meyer der Direktor der Wiener Staatsoper steht. Er ist bekannt dafür, von ihm bevorzugten Talente alsbald ans eigene Haus zu holen. Welcher Jungstar wollte sich über eine solche Chance beschweren? Die Schattenseite einer primär vom Opernmarkt aus gedachten Jury-Besetzung freilich liegt im völligen Fehlen von erfahrenen Sängern, die ja viel sensibler und oft auch strategischer darüber urteilen können, welche junge Stimme und welche Persönlichkeit sich langfristig in einem immer schnelllebigeren Geschäft des Musiktheaters behaupten kann. Einen Diskurs über Sänger, der ja doch Karrieren zukünftiger Opernstars deutlich beeinflusst, ohne Beteiligung der eigentlichen Experten zu führen, fehlt letztlich eine zentrale Kompetenz-Komponente. Da Jury-Entscheidungen letztlich durch die Arithmetik aus zehn Einzelurteilen entstehen, sind Fehlurteile jedenfalls nicht ausgeschlossen. Die Management-Lastigkeit der Jury bringt das Risiko einer Einseitigkeit oder gar Oberflächlichkeit der Urteile mit sich.

Neue Stimmen 2017: Der Gewinner des dritten Preises Mingjie Lei und Dirigent Graeme Jenkins
Neue Stimmen 2017: Der Gewinner des dritten Preises Mingjie Lei und Dirigent Graeme Jenkins

„Neue Stimmen“: Wie kommen Urteile zustande?

Nicht nachvollziehbar für so manche fachkundigen Hörer im Publikum war die Vergabe des ersten Preises an den koreanischen Bass Cho ChanHee. Dessen gut sitzende, sichere wie volltönende Stimme beeindruckte zwar enorm, eine Ahnung der zu portraitierenden Figuren vermittelte er aber nicht ansatzweise. In Bancos düsterer Arie „Come da ciel precipita“ aus Verdis „Macbeth“ stellte er – fraglos imposante – Töne aus, statt Atmosphäre, geschweige denn Emotionen zu verströmen. In Rossinis zu langsam genommener „La calunnia“ ruhte er sich auf den Tönen aus, statt gewitzt dem italienischen Parlando zu folgen. Mehr als in Ordnung geht dafür der 2. Preis an den deutschen Bariton Johannes Kammler. Die Lyrik von „Mein Sehnen, mein Wähnen“ aus Korngolds „Die tote Stadt“ gestaltet er mit edler wie tragfähiger Pianokultur, wunderbarer Artikulation und ausgeprägtem Geschmack. Kammlers edles Timbre ist eine Wonne. In Rossinis „Largo al factotum“ demonstriert er dynamisches Differenzierungsvermögen und gewitzte Einfühlung in die Figur des Figaro. Dieser Erfolg dürfte dem frischgebackenen Ensemblemitglied der Bayerischen Staatsoper in München nochmal zusätzlichen Schub verleihen.

Eine weitere Entdeckung ist der Empfänger des dritten Preises: der chinesische Tenor Mingjie Lei, der dank seines Legatoempfindens, seines weichen Traumtimbres und seiner intelligenten wie sensiblen Musikalität zu den herausragenden Persönlichkeiten des Finales gehörte. Mozarts extrem schwere Baumeisterarie aus „Die Entführung aus dem Serail“ sang er mit der Mühelosigkeit eines Wunderlich, Glucks „Unis dès la plus tendre enfance“ aus „Iphigénie en Tauride“ mit vornehmer, anrührender Voix Mixte.

Die Intensität des Innigen: Nicht die Singmaschinen des „Höher und Lauter“ setzen sich durch, sondern feinfühlige singende Menschen

Neue Stimmen 2017: Die Gewinnerin des ersten Preises Svetlina Stoyanova
Neue Stimmen 2017: Die Gewinnerin des ersten Preises Svetlina Stoyanova © Besim Mazhiq/Berstelsmann Stiftung

Enorm erfreulich bei der Vergabe an die drei weiblichen Preisträgerinnen, dass die Jury hier weniger die imposanten Singmaschinen für laute hohe Töne belohnte, sondern Künstlerinnen, die beweisen, dass Lyrik keinen Mangel an Ausdruck bedeuten darf. Bestes Beispiel: Die bulgarische Mezzosopranistin Svetlina Stoyanova, deren unverschnörkelte Schlichtheit und Natürlichkeit schon in Händels „Scherza infida“ aus „Ariodante“ berückend war: Seelengesang. Mozarts „Parto, parto“ aus „La Clemenza di Tito“ lebte wiederum von einer maximalen Intensität des Innigen. Ein erster Preis, der durch die geschickte Wahl von Svetlina Stoyanovas körperbetonten Roben zumindest mit beeinflusst gewesen sein mag. Hört die männlich dominierte Jury auch mit den Augen? Keine Frage: Oper ist eben auch eine Schaukunst. Noch deutlich aufregender war die kanadische Mezzosopranistin Emily D’Angelo, die aber nur den zweiten Preis einheimste, als Dorabella eine selbstbewusste moderne Frau auf die Bühne brachte und mit gestalterischer Finesse einer jeden Phrase begeisterte. Mit Händels „Dopo notte“ aus „Ariodante“ zündete Emily D’Angelo ein ganz lockeres, enorm versiertes Koloraturenfeuerwerk: Singen als purer Genuss – seitens der Sängerin wie seitens des Publikums. Ihre ungleich dramatischere Kollegin Zlata Khershberg aus Russland ersang sich den dritten Preis mit ihrem dunkel flammenden Mezzo, den sie mit Lust am Risiko und Ausloten des emotionalen Extrems von der Kopf- in die Bruststimme führte. Da gibt eine junge Sängerin, die wie aus einer anderen Zeit zu kommen scheint, einfach alles – hoffentlich nicht zu viel.

Zweifellos ein Höhepunkt des Abends: „Da, chas nastal“ aus Tschaikowskys „Orleanskaja Dewa“. Trotz Trompetentönen, die ihrem Namen alle Ehre machten, schaffte es Christina Nilsson nicht in die Reihe der ersten drei, einen Vertrag als Aida in ihrer Heimatstadt Stockholm hat sie indes längst in der Tasche. Gestalterische Tiefendimensionen fehlen der Sopranistin noch. Intendanten werden ob des gerade für Wagner gleichsam idealen nordischen Typs gleichwohl aufgehorcht haben. Webers „Ozean! Du Ungeheuer“ aus „Oberon“ muss man ihr in diesem Aplomb erst einmal nachsingen. Verfolgen sollte man auch Olga Rudyk, die zwar Puccinis lyrische Liù sang, aber mit ihren metallisch leuchtenden Tönen gar eine zukünftige Turandot sein könnte. Der Wettbewerb „Neue Stimmen“ ist eben – jenseits einzelner Preisentscheidungen – fraglos auch ein vielseitiges Versprechen an die Zukunft.

Das Finale von „Neue Stimmen“ 2017:

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