Die Nachricht platzte mitten in die Klassenfahrt: Sie ist dabei! Wird mit Star-Cellist Johannes Moser und elf weiteren Amateur-Cellisten in der Frankfurter Alten Oper das Familienkonzert der Museums-Gesellschaft am 23. November gestalten. „Ich hab laut gejubelt.“ Jetzt, Wochen und intensive Übungsstunden später, steht die zwölfjährige Isabelle Schade mit Cello, feuchten Händen und dieser Mischung aus Aufregung, Freude und Spannung im Foyer der Frankfurter Musikhochschule, wartet mit den anderen Auserwählten zwischen elf und 66 Jahren auf die erste Probe mit Moser. Da kommt er auch schon mit Cello, Taschen und Rollkoffer angerauscht und strahlt übers ganze Gesicht. „Spiel mit! Johannes Moser und zwölf Frankfurter Cellisten“ kann beginnen.
Es ist ein außergewöhnliches Education-Projekt, das sich der Cellist gemeinsam mit der Frankfurter Museums-Gesellschaft für seine Zeit als Residenzkünstler in dieser Saison vorgenommen hat. Alles begann im Frühjahr mit einem Aufruf: Amateur-Cellisten gesucht zwischen 9 und 99 Jahren, die sich auf eine ernsthafte, längerfristige Konzertvorbereitung einlassen wollen. Bei einer ganztägigen Cello-Party wollte der mehrfach ausgezeichnete Cellist mit Coaches des Frankfurter Opern- und Museumsorchesters sowie der Musikhochschule zwölf Teilnehmer auswählen, die dann mit ihm auf großer Bühne ein anspruchsvolles Programm von Bach über Grieg bis hin zu Villa-Lobos und Klengel musizieren.
Videobotschaften und Stimmproben vorm Fernseher
Seine Motivation? Ihm gehe es um Nachhaltigkeit, sagt Moser: „Die Crux an meinem Beruf als Solist ist die Schnelllebigkeit. Alles, was ich an einem Ort tue, ist nach einem Besuch vorbei.“ Seine Residenz beim Frankfurter „Museum“ bietet dem Künstler mit der Passion für Education-Arbeit da eine neue Perspektive. „Ich will versuchen, etwas zu hinterlassen und langfristig zu bewegen.“ Vor allem aber will er Lust wecken, gemeinsam Musik zu machen, will Menschen zusammenbringen und sie erfahren lassen, wie packend es sein kann, gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen.
Seine Idee mit der Aussicht auf eine Mega-Cello-Party löste tatsächlich eine regelrechte Lawine aus, 125 Hobbymusiker – die jüngsten neun, die älteste 85 Jahre alt – meldeten sich, keineswegs nur aus Frankfurt, sondern aus ganz Hessen, ja bis nach Rheinland Pfalz und Baden-Württemberg hinein. „Unglaublich, es war fast, als hätten viele auf so ein Projekt gewartet“, sagt Moser im Rückblick.
Ein Projekt, das schnell zur logistischen Herausforderung gerät, denn alle sollen ins Boot geholt werden. Noten werden verschickt, Stimmen eingeteilt. Mit witzigen Video-Botschaften heißt Moser die Bewerber willkommen und hilft musikalisch auf die Sprünge, um das Programm für die Cello-Party in der Musikhochschule mit abschließendem Flashmob-Konzert auf dem Opernplatz vorzubereiten. Auf Video spielt er alle Stimmen der Stücke einzeln ein, schneidet sich zum vielköpfigen Moser-Ensemble zusammen, lässt seine filmischen Reproduktionen miteinander reden – und macht einfach Lust mitzuspielen.
„Die Videos sind total cool“, schwärmt Isabelle. „Ich habe sie über unseren Fernseher ablaufen lassen und meine Stimme immer mitgespielt.“ Nicht nur sie, auch Thomas Pollak, mit 66 Jahren der Älteste im letztlich auserwählten Dutzend, hat sich „alle Striche und Fingersätze“ von den Videos abgeschaut. „Das war sehr originell.“ Überhaupt sei das Projekt etwas „ganz Besonderes“: Ehrgeizig im Ziel – und doch „hat es so etwas Spielerisches“.
Ein Satz, der schon Wochen vorher immer wieder fällt – bei der Cello-Party an einem sonnigen Juli-Tag. Von neun Uhr an herrscht Hochbetrieb in der Hochschule. Ohne Unterlass strömen den ganzen Tag über Hobby-Cellisten mit Instrumenten, Freunden und der ganzen Familie im Schlepptau in den lichten Bau, um im Halbstunden-Takt mit Moser und den anderen Coaches in kleinen Gruppen zu musizieren. Auf den Fluren und im Foyer wird derweil geplaudert und gelacht, werden Adressen ausgetauscht und spontan Probentermine ausgemacht. „Ich habe eigens für die Cello-Party mein Instrument wieder hervorgekramt, das ich seit der Schulzeit nicht mehr angefasst habe und übe jetzt wie verrückt“, erzählt eine Mittdreißigerin mit leuchtenden Augen.
Dabei sein ist alles: Flashmob auf dem Opernplatz
Eine andere hat seit Wochen mit ihrer Lehrerin Techniken geübt, die sie als Anfängerin eigentlich noch gar nicht beherrschen kann – nur um bei Cello-Party und Flashmob auf dem Opernplatz dabei zu sein: „Allein dafür lohnt sich der Aufwand.“ Und die älteste Bewerberin, die mit weit über 80 noch in einem Amateur-Orchester spielt, ist einfach nur begeistert, „so viele Hobby-Cellisten auf einmal zu sehen“. Vom talentierten Grundschüler über Gelegenheitsspieler, die vor Zittern und Aufregung keinen Ton herausbekommen bis hin zum halbprofessionellen Hobby-Musiker reicht dabei das Niveau – doch am Ende des Tages pilgern alle gemeinsam als vergnügte Hundertschaft mit ihren Celli auf den Rücken zum Opernplatz, um dort einer nach dem anderen in den Kanon „Bruder Jakob“ einzustimmen.
Besonders beeindruckt habe ihn, erinnert sich Moser, wie selbstverständlich die Teilnehmer, die sich vorher nie gesehen hatten, in der Gruppe miteinander umgegangen seien und aufeinander gehört hätten – unabhängig von Alter, Nationalität oder Können. „Jede Gruppe hat eine andere Dynamik entwickelt.“
Ein intensives Erlebnis, dessen „Nachbeben“ er bis heute spürt: In vielen Mails bedanken sich Teilnehmer für den Tag und erzählen, dass sie darüber wieder mit dem Cello angefangen oder Partner zum Musizieren gefunden hätten. „Auch viele Jugendliche schreiben – allerdings mit weniger Text, dafür mit umso mehr Smileys.“
Von der Cello-Party schwärmen auch die zwölf Auserwählten noch Wochen später bei ihrer ersten Probe. „Tolle Atmosphäre, so ein schöner Tag“, blickt Pollak zurück. Freunde hatten ihn gedrängt mitzumachen – nun ist der Arzt froh, dabei zu sein. Als junger Mann hatte er in Wien Cello studiert, studierte dann aber doch Medizin – und ließ sein Instrument 20 Jahre lang in der Ecke stehen. Erst mit 50 fing er wieder an und gibt inzwischen mit einem Pianisten kleine Konzerte.
Der Traum vom Rampenlicht: Einmal zusammen mit Johannes Moser musizieren
Ähnlich verlief der Weg bei Sebastian Loll, der ebenfalls drauf und dran gewesen war, Musiker zu werden – und sich am Ende doch für die Polizei entschied. „Die Musik aber wollte ich mir privat erhalten.“ Das „Spiel mit!“-Projekt war hier für ihn eine neue Initialzündung: Intensiv habe er sich darauf vorbereitet, erzählt der Oberkommissar – trotz Hausbau, der anstehenden Geburt seines ersten Kindes und dem stressigen Job. Denn er wollte unbedingt mit Moser auf der Bühne der Alten Oper stehen: „Das ist für mich der besondere Reiz.“ Ebenso wie für Isabelle, dem Küken in der Runde: Täglich übt die Zwölfjährige eine Stunde Cello und hat bereits mehrere erste Preise bei „Jugend musiziert“ gewonnen. „Das Projekt bedeutet mir sehr viel, ich liebe es, mit anderen zusammen zu spielen“, strahlt sie. „Und es ist cool, dass sich ein Künstler, der ja nicht so viel Zeit hat, so engagiert.“
Wenige Minuten später sitzen alle hochkonzentriert mit Moser beim ersten Durchlauf von Klengels Hymnus for 12 Cellos. In den nächsten Wochen gilt es nun, zu einem Ensemble zusammenzuwachsen und auszuloten, was möglich ist. Natürlich sei das spielerische Niveau ein Kriterium für die Auswahl gewesen, sagt der Initiator. „Alle sollen das Programm bewältigen können und sich auf der Bühne wohl fühlen.“ Doch mindestens genauso wichtig sei die Teamfähigkeit: „Nur wenn wir alle gemeinsam daran arbeiten, wird die Sache auch gut.“ Die Stimmung nach der ersten Probe ist auf jeden Fall schon mal bestens, und so blickt Moser denn auch bereits in die Zukunft: Als Folgeprojekt will er mit allen Teilnehmern ein riesiges Cello-Orchester auf die Bühne bringen. „In etwa drei Jahren können sich Amateur-Cellisten schon mal bereithalten.“