Es ist Abend. Aber in der Staatlichen Jugendmusikschule Hamburg ist immer noch viel Betrieb. Ungemütlich kalt ist es an diesem Januar-Abend, schnell verziehen sich die Musikschüler nach der Pause in ihre Klassenzimmer und die Cafeteria. Vom Geigenunterricht geht es auch für Eileen Stenzaly direkt in die Orchesterprobe, wo sie Querflöte spielt, ihr Lieblingsinstrument. In zwei Tagen wird sie gegen fünf gleichaltrige Querflötisten beim Regionalwettbewerb von Jugend musiziert in Hamburg antreten, doch trotz des vollen Terminkalenders wirkt die 15-Jährige tiefenentspannt. „Bis jetzt bin ich noch nicht wirklich aufgeregt, auch am Tag vorher bin ich noch ziemlich ruhig. Aber dann denke ich mir irgendwann: Oh nein, was habe ich getan, warum habe ich mir das zugemutet?“
Seit 1963 wird Jugend musiziert jährlich ausgetragen. Damals noch als Förderprogramm für den Orchesternachwuchs ins Leben gerufen, steht heute vor allem das gemeinsame Musizieren der Jugendlichen im Vordergrund. „Es geht dabei um Breitenförderung und nicht um Spitzenförderung eines kleinen Teils“, erklärt der Projektleiter des Wettbewerbs Edgar Auer im concerti-Interview. „Vor allem im Regionalwettbewerb soll den Teilnehmern eine Vergleichsmöglichkeit mit Gleichaltrigen geboten werden.“ Die Jugendlichen treten in einem alle drei Jahre wechselnden Turnus als Solisten, im Duett oder im Ensemble auf. Für Eileen ist es bereits das dritte Mal bei Jugend musiziert. Sie hat also schon Erfahrungen, sowohl als Solistin als auch im Ensemble gesammelt und weiß schon ungefähr, was auf sie zukommt.
Üben bis zur letzten Minute
Vorspielen wird Eileen insgesamt vier Stücke – wie vorgegeben aus verschiedenen Epochen – von Wolfgang Amadeus Mozart, Richard Rodney Bennett, Eugeniusz Glowski und Reza Najfar. Ausschlaggebend für die Auswahl der Werke war ihre Flötenlehrerin Mariola Rutschka. „Sie hat gesagt, dass ich den Mozart und Najfar ganz gut kann und deswegen spielen soll“, erzählt die Hamburgerin. Und da die Jugendlichen auch noch ein langsames Stück vortragen müssen, hat Mariola den zweiten Satz von Bennetts „Summer Music“ in Eileens Repertoire aufgenommen.
Schon seit zwei Monaten übt Eileen in jeder freien Minute für Jugend musiziert. Dabei helfen auch die Übungsvorspiele, die regelmäßig von ihrer Flötenlehrerin organisiert werden. Ein paar Stellen, mit denen sie noch nicht ganz zufrieden ist und die noch geübt werden müssen, gibt es trotzdem. Deswegen wird sich Eileen vor dem Wettbewerb noch ein paar Mal an die Stücke setzen. Bereit fühlt sie sich aber schon jetzt. „Ich möchte es so gerne bis zum Bundeswettbewerb schaffen“, sagt sie. Bis dahin muss sie ihr Können nach dem Regionalwettbewerb aber auch noch beim Landeswettbewerb in Hamburg unter Beweis stellen.
Jugend musiziert: Die Anspannung ist groß
Zwei Tage später ist es dann so weit: Das denkmalgeschützte Herrenhaus „Goßlerhaus“ im Stadtteil Blankenese, in dem sich das Hamburger Konservatorium befindet, öffnet seine Türen für den Regionalwettbewerb. Am Eingang weist nur ein dezentes Plakat mit dem Wettbewerbslogo auf die Veranstaltung hin. Die ersten Wettbewerber stehen schon auf der Bühne, andere sitzen noch mit ihren Familien in der Cafeteria oder sind wie Eileen in einem der Einspielräume. So kurz vor dem Vorspiel ist ihr die Anspannung dann doch anzumerken. Christiane Stenzaly versucht ihrer Tochter gut zuzureden, ist aber mindestens genauso aufgeregt wie Eileen selbst. Und dann geht es auch schon los. In einer weißen Jeans und einem dunkelblauen Glitzerpullover, das lange lockige Haar mit Klammern zurückgesteckt, steht die Schülerin vor der Jury und Zuschauern und beginnt mit Mozarts Rondo D-Dur.
Die jungen Wettbewerbsteilnehmer, so auch Eileen, tragen ihre Werke mit einer Souveränität vor, die sie schon wie die ganz Großen erscheinen lässt. Nach knapp fünfzehn Minuten ist das Vorspiel vorbei und die Erleichterung bei allen Beteiligten groß. „Bei meinem Lieblingsstück, dem ‚Valse harmonique‘ von Najfar, habe ich mich verspielt. Aber ich bin froh, dass eine Stelle, die ich beim Einspielen nicht hinbekommen habe, doch noch geklappt hat“, sagt Eileen nach dem Vorspiel, mit noch vor Aufregung leicht erhitztem Gesicht. Im Anschluss gibt es in der Cafeteria des Konservatoriums erst einmal Kuchen und Schokolade, bevor es zum Feedbackgespräch ins Juryzimmer geht. Am Abend darf sich Eileen dann freuen: Sie ist mit 23 von 25 Punkten in die nächste Runde weitergekommen und hat den ersten Schritt zu ihrem Ziel erreicht. Neben ihr haben es zwei weitere Schüler aus ihrer Altersklasse geschafft.
„Der beste Mozart, den du je gespielt hast“
Ende März treffen wir die, gesundheitlich leicht angeschlagene 15-Jährige erneut in Hamburg, diesmal zum Bundeswettbewerb an der Musikhochschule, wo deutlich mehr Betriebsamkeit herrscht als beim Regionalwettbewerb. Dennoch wirkt die Stimmung insgesamt entspannter. Kinder und Jugendliche unterhalten sich mit ihren Familien und Freunden, manche üben noch am letzten Feinschliff. Die Vorspiele sind je nach Instrument auf die verschiedenen Räume der Hochschule verteilt. Die Erkältung ist Eileen jetzt egal. Jetzt geht es um den nahen Sieg. Sie nimmt sich zusammen und wird trotz der gereizten Atemwege auf ihrer Querflöte spielen, als wäre nichts. Selbstbewusst geht sie auf die Bühne und präsentiert ihr Repertoire.
Nach dem letzten Ton guckt sie verstohlen zu ihrer Flötenlehrerin Mariola Rutschka. Die nimmt Eileen in den Arm und lobt sie für Mozarts Rondo. „Das war der beste Mozart, den du je gespielt hast.“ Doch abends dann die Ernüchterung: Für den Bundeswettbewerb in Lübeck hat es leider nicht gereicht. Auch die anderen vier Teilnehmer in ihrer Altersklasse haben es nicht geschafft. Unterkriegen lässt sich Eileen davon aber nicht. Die Tipps von der Jury, in Zukunft mehr auf ihre Atmung zu achten und die Einladung, sich im nächsten Jahr wieder zu bewerben, nimmt sie dankbar an. „Ich bin eigentlich ganz zufrieden mit meiner Leistung, vielleicht klappt es ja im nächsten Jahr“, sagt sie. Zufrieden kann sie auch sein, denn egal ob die Jugendlichen weiterkommen oder nicht – es bis hierhin geschafft zu haben, ist allemal beachtlich.