„Hier verhüllt mir die majestätische Sonne kein von Menschenhänden gemachtes Dreckdach, der blaue Himmel ist mein sublimes Dach”, schwärmt Beethoven 1804 während eines Spaziergangs in Baden. Mit der Idylle könnte es bald vorbei sein, wenn die Atmosphäre zunehmend zum gasgefülltem „CO2-Dreckdach“ wird und aus Mutter Erde ein Treibhaus macht.
Es stinkt also sprichwörtlich zum Himmel, und auch die Musik trägt dazu bei, wobei mitnichten Tschaikowskys Violinkonzert gemeint ist, über das Eduard Hanslick schrieb, dass man hier „Musik stinken“ höre. Gemeint ist der Musikbetrieb. Für ein einziges Konzert oder einen Opernauftritt einmal um die Erde nach Tokio oder Sydney zu reisen ist keine Seltenheit. Große Konzerthäuser wollen Tag um Tag mit 2.000 Zuhörern gefüllt werden. München, Berlin oder Hamburg: Bis zu vierzig internationale Spitzenorchester geben sich dort pro Spielzeit die Klinke in die Hand. Ihre CO2-Bilanz ist miserabel.
Anspruch und Realität klaffen auseinander
Das betrifft aber nicht nur die Klassik. Hunderttausende aus aller Welt reisen an zu den Festivals auf Wacken, ins englische Glastonbury oder amerikanische Coachella. Tonnen an Equipment müssen in hunderten Trucks über weite Strecken für die Show transportiert werden. Gigantische Lichtanlagen und Soundsysteme für mehrere Bühnen, deren Stromverbrauch dem einer ganzen Kleinstadt entspricht. 2015 wurden allein 20.000 Tonnen CO2 bei Konzerten freigesetzt, wie eine britische Auswertung von 279 Musikfestivals ergab. Auch ein Konzert mit Thomas Hengelbrock in Freiburg schlägt mit einem Kohlendioxidausstoß von 38,27 Tonnen zu Buche, auch wenn das gediegene Publikum nicht die vielen Tonnen Müll hinterlassen wird wie die Besucher eines Rockfestivals. Studien zufolge ist die Greta-Generation der 15- bis 20-Jährigen auch die mit dem größten Verpackungsverschleiß: dort ein Döner, hier der Lieferservice – auch wenn dies nicht zu „Fridays for Future“ und dem Aufruf zu mehr Ressourcenschutz passt. Anspruch und Realität klaffen nicht selten auseinander. Greta Thunbergs transatlantischer und mit großem (europäischem) PR-Getöse angetretener Segeltörn auf der „Malizia“ (übersetzt: die Schelmische!) zum Klimagipfel nach New York schlug mit seiner CO2-Bilanz weitaus höher zu Buche, als wenn sie mit ihrem Vater geflogen wäre.
Klimaschutz als Promoveranstaltung
Auch die Älteren hat Greta mächtig beeindruckt. Einst war man gegen die Kernkraft auf die Straße gegangen, nun tun es die Kids für den Klimaschutz, und man läuft mit, fühlt sich fast wieder so „rebellisch“ wie damals. Plötzlich ist von der „Kunst der Reduktion“, „der Entschleunigung“ und der „Rettung“ des Planeten die Rede. Wer Autos baut oder eine Supermarktkette betreibt, der weiß, was zu tun ist, um Emissionen zu reduzieren. Doch was nützt es dem Klimaschutz, wenn Mauricio Kagel sein Oratorium „Die Erschöpfung der Welt“ nennt und Gerhard Müller-Hornbach Schamanengesänge anstimmt? Was, wenn Klangkünstler wie Marcus Maeder den Stress der durch die Erderwärmung belasteter Bäume zum Hören bringen, Jacob Kirkegaard die Stadien der polaren Eisschmelze zu einer Klanginstallation fügt? Interessante musikalische Experimente, ohne Zweifel. Mitunter aber auch künstlerisch aufgeblasene Selbstvermarktung, wenn etwa Ludovico Einaudi vor der fotogenen Kulisse des Wahlenbergbreen-Gletschers seine kitschige „Elegy for the Arctic“ spielt. Da lobt man sich Bela B Felsenheimer von der Punkrock-Band Die Ärzte, der große Benefiz-Events ablehnt, weil „das zu einer Promoveranstaltung verkommt.“
Klima-Schutz geht oft weniger prätentiös: mit Recycling-Papier, Catering-Produkten aus der Region und Mehrweggeschirr, Carsharing, Shuttle-Bussen und Eintrittskarten, die auch zur Nutzung des Nahverkehrs berechtigen. Auch die Taktung der Spielpläne könnte wie das Rooting, die Tourneestrecke eines Orchesters, effizienter gestaltet werden.
Die Salzburger Festspiele setzen auf energiesparende LEDs und regenerative Energien. Bei Open Air-Vorstellungen werden anstelle der Plastik-Ponchos solche aus biologisch abbaubarer Maisstärke verkauft. Die Oper Graz bezieht ihren Strom komplett aus Wasserkraft. Das Glastonbury-Festival setzt Biodiesel-Generatoren ein. Zur Wahrheit gehört aber auch: Nicht jede öffentliche Institution kann sich eine Photovoltaik- oder Solarthermieanlage auf dem Dach leisten. Die subventionierenden Kommunen sind oft klamm. Und so mancher Ökostrom ist oft mehr grau als grün.
Orchester bekennen Farbe
2012 gründete der Hornist Markus Bruggaier von der Staatskapelle Berlin die Stiftung NaturTon und mit ihr später das Orchester des Wandels. In Projekten wie „Eben!Holz“ setzen sie sich für die bedrohten Hölzer ein, die für Griffbretter und im Holzblas- und Schlaginstrumentenbau verwendet werden. 200.000 Bäume wurden bereits im Masoala-Gebiet in Madagaskar gepflanzt. Neben der Staatskapelle Berlin haben sich auch die Philharmoniker aus Duisburg und Bremen, das Staatsorchester Braunschweig und das Frankfurter Opern- und Museumorchester verpflichtet, dieses und andere Projekte in Moldawien und Indien über zehn Jahre mit einem jährlichen vierstelligen Betrag zu unterstützen.
Radikaler geht das Helsingborger Symphonieorchester vor. Ab 2020/21 nimmt es nur Gastspiele an, die mit Bahn oder Schiff zu erreichen sind. „So wie wir mit der Natur verfahren, werden wir sie bald nur in Oratorien von Haydn oder anderen Musikwerken wiederfinden“, warnt Vladimir Jurowski und kündigt an, dass er seine Stellen in London und Moskau aufgeben wird. ‚Flygskam‘ heißt das: Flugscham. Gut gemeint, aber zu kurz gedacht. Wahr ist: Wer von Zürich nach New York und wieder zurück fliegt, muss sich die Emission von zwei Tonnen CO2 anrechnen lassen. Wahr ist aber auch: Flüge machen weltweit nur zwei bis drei Prozent der Emissionen aus. Die wahren Emissionstreiber sind die Stromerzeugung (25 Prozent), der Agrarsektor (24 Prozent) und die Industrie (18 Prozent).
Flugscham würde also zunächst zur Vernichtung von Millionen Arbeitsplätzen führen und auch die Theater gefährden. Kaum ein Spielbetrieb kann auf lukrative internationale Gastspielreisen verzichten. Nach Corona sowieso nicht. Der Landweg ist meist mühsam und teuer. Clara Schumann legte zehntausende Kilometer zurück – oft mit der Postkutsche, während ihr Verlobter 1839 besorgt schrieb: „Nimm Dich ja beim Fahren in Acht …, und wirft der Wagen um, so versuche nie Dich anzuhalten, da bricht man am ersten den Arm oder die Hand.“ Edvard Grieg berichtete 1866 von seiner Odyssee durch die Schweizer Alpen. „Die Schlitten flogen auf dieser Gewaltfahrt nach allen Seiten, bald hierhin, bald dorthin, so dass man die ganze Zeit über in Gefahr war, zerschlagen zu werden, bald balancierte der Schlitten auf der einen, bald auf der anderen Seite und rumpelte die gewaltigen Schnee- und Eisblöcke derart hinunter, dass man anderes zu tun hatte als zu frieren… Seelenqual, dass einem der Schweiß aus allen Poren brach.“ So gefährlich ist es nicht mehr, dennoch kann man davon ausgehen, dass beide das Flugzeug genommen hätten. Lisa Batiashvili bringt es auf den Punkt: „Ich glaube nicht, dass der Mensch sich so leicht verändert. Das ist eine Illusion. Er wird immer die Möglichkeiten nutzen, die er hat. Wir sind zu viele Menschen, da kann es keine einfachen Lösungen geben.“
Reisen als Kulturauftrag
Christian Beuke von den Münchner Philharmoniker sagt: „Wir reisen viel. Das gehört zu unserem Kulturauftrag“. Innerhalb Deutschlands reist man mit der Bahn. Für die internationalen Reisen entrichtet das Orchester regelmäßig fünfstellige Beträge an die Non-Profit-Organisation atmosfair. So machen es auch Wiener Symphoniker. Acht Tourneen in acht Länder und über zwanzig Städte waren für 2020 geplant, sechs Konzerte allein in China. Kalkulierter CO2-Ausstoß: fast 250 Tonnen. Für jede Tonne hätten sie Euro 16,50 an Climate Austria entrichtet. Geld für ein Aufforstungsprojekt in Panama, das Kohlenstoff bindet und die Schadstoffe neutralisiert. Coldplay hatte dies bereits 2002 vorgemacht, als sie zum Erscheinen eines Albums ein Aufforstungsprojekt in Indien ankündigten. Jahre später stellte „The Telegraph“ allerdings fest, dass die meisten Bäume gar nicht gepflanzt worden waren und das Geld irgendwo in Indien versickerte.
Viele, die auf unseren Breitengraden Verzicht predigen, tun es meist aus einer sicheren (verbeamteten oder öffentlich-rechtlichen) Position heraus, ohne oft zu erkennen, dass viele dabei ihr Einkommen verlieren könnten. Auch Franz von Assisi stammte aus wohlhabenden Verhältnissen. Fast schon zynisch wäre es, wenn man von einem chinesischen Wanderarbeiter erwartet, dass er sein mühsam bezahltes Auto wieder durch ein Fahrrad ersetzen soll. Gerne wird auch vergessen, dass die Entwicklung vom Computer bis zum Smartphone ohne großen Ressourcenverbrauch nie möglich gewesen wäre. Auch das Musikstreaming benötigt enorme Strommengen – und damit auch die Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker.
2016 wurden in den USA 200 Millionen Kilogramm CO2 mit Streaming ausgestoßen. Ein Drittel weniger entfallen auf LPs, Kassetten und CDs, die mit 64 Gramm Plastikmüll pro Silberscheibe allerdings Altlasten hinterlassen. Es ist nicht so einfach. Die Prozesse der Natur sind chaotisch, noch lange haben wir sie nicht verstanden. Zu glauben, man könne sie nach Belieben durch eigenes Verhalten beherrschen, grenzt an Anmaßung. Die Corona-Krise hat zwar den Ausstoß an CO2-Emissionen gesenkt. Anders als Smog aber verschwinden Emissionen nicht aus der Luft, wenn man aufhört, sie zu produzieren. Sie akkumulieren sich in der Atmosphäre.
„Veranstaltungen, bei denen Menschen zusammenkommen, haben einen Emissionsgrad von 90 bis 95 Prozent, egal ob Kongress, Sportveranstaltung oder Konzert“, sagt Jan Fockele vom Klimaschutzunternehmen CO2OL. Am besten also wir bleiben zu Hause. Oder gehen ins Autokonzert. Doch auch die Autobatterie frisst Energie etwa für Beleuchtung, Lüftung, Sitzheizung – und für das Autoradio, aus dem nach zuvor bekanntgegebener UKW-Frequenz die Musik ertönt. Wenn wir zu Hause bleiben, würden wir außerdem im September die Premiere des Musicals „Forever Piaf“ in Stockholm verpassen, mit Gretas 14-jähriger Schwester Beata als junger Édith und Mutter Malena als älterer Piaf. Eine Familie, die die Bühne liebt. Es bleibt also kompliziert. Wir leben nicht auf Bullerbü.