Startseite » Reportage » Die Königin der Elbphilharmonie

Reportage Elbphilharmonie-Orgel

Die Königin der Elbphilharmonie

Von der Orgel der Elbphilharmonie sind nur wenige Elemente sichtbar – angesichts ihrer atemberaubenden Klangvielfalt ein klares Understatement. Ein Vorort-Besuch.

vonMaximilian Theiss,

Ob in Kirchen oder Konzertsälen: Meist thronen Orgeln weit entfernt über den Köpfen der Zuschauer. Schließlich soll die gesamte Opulenz und Schönheit des Instruments weithin sichtbar sein. Bei der Orgel der Elbphilharmonie verhält es sich indes anders. Hier erschließt sich das Imposante und Faszinierende am Instrument nicht sofort, denn man sieht lediglich einige Orgelpfeifen im Zuschauerraum hinter der Bühne. Dafür kann man als Zuhörer selten so nah an eine Orgel kommen wie hier, die direkt hinter den Publikumsrängen verbaut – und somit für die Zuschauer im wahrsten Sinne des Wortes zum Anfassen ist.

Unterwegs durch die Orgel

15 mal 15 Meter misst die Orgel bei einer Tiefe von etwa drei Metern – abstrakte Zahlen, bei denen man zumindest schon mal eine Vorstellung von den räumlichen Ausmaßen der Orgel bekommt. Tritt man jedoch hinter einer der Publikumsreihen durch die in die Wand eingelassene, praktisch unsichtbare Tür in die Orgel hinein, fühlt man sich selbst plötzlich sehr, sehr klein. Schließlich kommt es eher selten vor, dass man ein Musikinstrument betreten, geschweige denn sich darin aufrecht bewegen kann. Und das auch noch mehrere Stockwerke hat, die über eine Wendeltreppe miteinander verbunden sind.

Großer Saal der Elbphilharmonie mit Orgel
Der großer Saal der Elbphilharmonie mit der Orgel an der Rückwand © Iwan Baan

Auf der untersten Etage findet man den Motor beziehungsweise das Gebläse, welches die 4765 Pfeifen mit Wind versorgt. 180 Kubikmeter Luft pro Minute können hier auf den Weg zu den Pfeifen gebracht werden – wieder eine abstrakte Zahl, mit der die Vorstellungskraft ihre Schwierigkeiten haben dürfte. Zum Vergleich: Der nicht gerade kleine Kerosintank eines Airbus A380 fasst ein Volumen von etwas mehr als 300 Kubikmeter. Nicht weniger einschüchternd wirkt die größte, zehn Meter lange Orgelpfeife, durch die locker ein ausgewachsener Mensch wie durch einen Kaminschacht nach oben klettern könnte. Zu hören ist diese Pfeife übrigens kaum, denn mit 16 Hertz liegt der Ton knapp unterhalb unserer Hörschwelle und wird nur als Vibrieren wahrgenommen.

Mittendrin im Schalldruck

Eine weitere Zahl indes konnte erst vor Ort überprüft werden: Drei – so viele Minuten braucht Thomas Cornelius, um einen Flügel aus dem Konzertsaal hinaus- und den Spieltisch der Orgel hineinzufahren und auf der Bühne mit einem Kabel von den Dimensionen eines Feuerwehrschlauchs an das Orgelwerk hinter dem Zuschauerraum anzuschließen. Neben Iveta Apkalna als Titularorganistin der Elbphilharmonie und Philipp Klais, dessen Werkstatt die Orgel kreierte, gehört Cornelius zu jenem kleinen Kreis, der die Orgel in- und auswendig kennt. Bereits beim Einbau in den Saal war der Organist vor Ort, um zusammen mit der Orgelwerkstatt Klais und Yasuhisa Toyota, der die Akustik der Elbphilharmonie verantwortet, die Feinabstimmung vorzunehmen, als das Parkett im Saal noch gar nicht verlegt war. An über fünfzig Konzerten war er bislang beteiligt und berät die Gastorganisten in klangästhetischen Fragen. Als Cornelius beginnt, die einzelnen Register zu ziehen, um die Vielfalt der Klangfarben vorzuführen, fällt sofort der nahe, unmittelbare Klang der Orgel auf. Der Organist beschreibt ihn als „körperlich“ und fügt hinzu: „Man ist als Künstler und als Zuhörer spürbar mittendrin in diesem Schalldruck.“

Thomas Cornelius an der Orgel der Elbphilharmonie
Thomas Cornelius an der Orgel der Elbphilharmonie © Peter Hundert

Besonders klangschön lässt sich diese Körperlichkeit erfahren, als er „Metamorphosen vom Kaispeicher zur Elbphilharmonie“ vorspielt, das er eigens für diese Orgel komponiert hat. Darin wendet er die technische Besonderheit an, dass sich vom Spieltisch aus der Wind für die Orgelpfeifen manuell steuern lässt: Reduziert man die Luftzufuhr, ertönen unterschiedlichste Fiep- und Pfeifgeräusche, und man hat plötzlich das Gefühl, vor dem Bau der Elbphilharmonie zu stehen, wo die Windböen sehr stark sein können. Im Stück ertönt auch eines von zwei Schiffshörnern, die zusammen mit einer Schiffsglocke in der Orgel verbaut wurden. „Hokuspokus-Beigaben“ nennt Cornelius diese Effektregister liebevoll.

Eine Orgel zum Anfassen

Phillip Klais spricht hinsichtlich der Akustik von einem „Klangbad“, mit dem die Orgel die Zuhörer umgibt. Damit möchte der Orgelbauer vor allem eine jüngere Generation von Konzertbesuchern ansprechen, deren Musikgenuss in weiten Teilen nur noch per Kopfhörer stattfindet, wodurch die Musik „kaum mehr räumlich wahrgenommen wird. Wenn wir diese Generation mit Musik begeistern wollen, müssen wir ihnen ein ganz besonderes Raumklang-Erlebnis bieten, wie es im Konzertsaal der Elbphilharmonie so meisterhaft umgesetzt wurde.“ Im Zuge des Orgelbaus hat sich Klais, der seit 1995 in vierter Generation die 1882 gegründete Orgelwerkstatt mit Sitz in Bonn leitet, auch intensiv mit den Architekten der Elbphilharmonie ausgetauscht. Besonderen Gefallen fand er dabei an der architektonischen Grundidee, dass die Elbphilharmonie für alle Menschen zugänglich, nahbar und erfahrbar sein soll, weshalb einige Orgelpfeifen so angebracht sind, dass die Zuschauer sie berühren und somit nicht nur akustisch wahrnehmen können.

Orgelbauer Philipp Klais an der Orgel der Elbphilharmonie
Orgelbauer Philipp Klais an der Orgel der Elbphilharmonie © Maxim Schulz

Doch auch wenn das Versprechen der Zugänglichkeit zur Elbphilharmonie und ihrer Orgel aufgrund der noch immer enormen Nachfrage an Konzerttickets noch nicht ganz eingelöst werden konnte, haben dennoch alle Interessierten die Möglichkeit, einen klangvollen Eindruck zu erhalten: Im letzten Herbst hat Titularorganistin Iveta Apkalna das erste Solo-Orgelprogramm aus der Elbphilharmonie auf CD veröffentlicht. Auf dem Album „Light & Dark“ zeigt die Lettin, welch Klangfarbenreichtum das Instrument hat. „Diese Orgel kann alles!“ soll sie bereits nach der allerersten Anspielprobe auf dem Instrument geschwärmt haben. Bislang konnte niemand diesen Ausruf widerlegen.

Sehen Sie hier den Trailer zu Iveta Apkalnas Album „Light & Dark“:

Sie sehen gerade einen Platzhalterinhalt von YouTube. Um auf den eigentlichen Inhalt zuzugreifen, klicken Sie auf die Schaltfläche unten. Bitte beachten Sie, dass dabei Daten an Drittanbieter weitergegeben werden.

Mehr Informationen

Album-Tipp

Album Cover für
Light & Dark – Werke von Gubai­dulina, Ligeti u. a.
Iveta Apkalna (Klais-Orgel der Elbphilharmonie)
Berlin Classics

Auch interessant

Rezensionen

Newsletter

Jeden Donnerstag in Ihrem Postfach: frische Klassik!