Glaubt man der britischen Regisseurin Katie Mitchell, dann war Händel ein schamloser Erotiker. Wenn der Wahlengländer seine Primadonnen ihre Koloraturen jauchzen lässt, dann muss er stets eindeutig Zweideutiges im Sinn gehabt haben. Auf einem dem Rosenkavalier entliehenen Bett als zentralem Bühnenelement dürfen wir also den diversen Spielarten und Stadien des Beischlafs beiwohnen. Händels grandiose Musik wird so aller potentiellen Künstlichkeit entkleidet: Selten war Barockgesang glaubwürdiger und natürlicher. Mitchell entdeckt in der Alcina freilich auch veritable Thriller-Qualitäten, spürt den Abgründen der Zauberin nach, spielt mit dem schmerzlichen Verlust der Jugend. Attraktive Sängerdarsteller auf der Höhe ihrer Kunst beglaubigen das Konzept. Patricia Petibon mit ihrem aufregend und berührend gerade geführten, dabei unerhört kunstvollen, jeder Seelenregung nachspürenden Sopran steht dabei im Mittelpunkt. Diese Besetzung der Titelpartie gleicht einer Sensation. Die Französin stellt selbst den wunderbaren Countertenor Philippe Jaroussky in den Schatten, der Star singt einen weich schattierten Ruggiero-Liebhaber in vollendeter Feinzeichnung. Andrea Marcon und das Freiburger Barockorchester tragen die Sänger auf Händen.
DVD-Rezension Andrea Marcon – Händel: Alcina
Erotisch schamlos
Katie Mitchell inszeniert Händels Alcina in Aix en Provence mit einer sensationellen Patricia Petibon
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