Es gibt eigentlich nur zwei Tenöre, mit denen man Puccinis „Turandot“-Arie „Nessun Dorma“ verbindet. Ist man Opernliebhaber, fällt der Name Luciano Pavarotti. Guckt man gerne Castingshows, denkt man unweigerlich an den britischen Ex-Handyverkäufer und studierten Philosophen Paul Potts. Der begeisterte 2007 in der Sendung „Britain’s Got Talent“ die klassikfernen Massen mit seiner Version der Arie. Er gewann die Castingshow – und verkaufte seitdem dank geschickter Vermarktung über 3,5 Millionen Alben weltweit.
Masse statt Klasse
Dass Masse aber nicht zwangsläufig etwas mit Klasse zu tun haben muss, beweist Potts einmal mehr mit seinem aktuellen Album „On Stage“ – eine Sammlung an Stücken, die ihn laut eigenen Aussagen inspirierten oder die er bereits auf der Bühne gesungen hat. Neben seiner Version von „Nessun Dorma“ sind zwar auch weitere Opernarien vertreten, aber das Herzstück des Albums bildet die Ansammlung mehr oder minder bekannter Musical-Songs. Nun sind Musicals nicht unbedingt für ihre stimmlichen Herausforderungen bekannt, was Potts zugute kommt, doch dieser musikalische Bonus nutzt nichts, wenn die Interpretation zu Wünschen übrig lässt.
Bei Paul Potts kommt es nicht auf die Stimme, sondern auf seine Geschichte an
Potts macht es sich da recht einfach: Statt sich selbst in ein Stück hineinzudenken, übernimmt er lieber die Interpretation anderer Künstler, die den Song oder die Arie schon einmal eingespielt haben. So verwundert es nicht, dass sein „Impossible Dream“ aus „Man of La Mancha“ arg an die Version von Plácido Domingo erinnert, sein „Bring Him Home“ aus „Les Misérables“ an Mandy Patinkin denken lässt und sein „Tonight“ aus Bernsteins „West Side Story“ nur ein fader Abklatsch von José Carreras ist. Da ist es nur folgerichtig, wenn man beim abschließenden „Nessun Dorma“ meint, eine sehr seichte und technisch wackelige Abklatschversion von Luciano Pavarotti im Ohr zu haben. Musikalisch ist bis auf ein wenig Gefälligkeitsklassik auf gehobenem Laienniveau da nicht viel zu holen. Was in diesem Fall aber egal ist. Bei Paul Potts kommt es nicht auf die Stimme, sondern auf seine Geschichte an. Vom Handyverkäufer zum Castingtenor für die Massen – damit verkauft man Alben.