Man muss zweimal schauen bei Sean Shibe, welches Album da eigentlich ausgezeichnet wird. „Lost & Found“, dasjenige Album, das den OPUS KLASSIK bekommt, wird nämlich in gut einem Monat bereits das vorvorletzte sein: Im Mai dieses Jahres folgte „Broken Branches“, ab November ist dann auch „Profesión“ auf dem Markt. Doch zu „Lost & Found“: Die Stücke, die der Gitarrist hier vereint – Gesänge von Hildegard von Bingen, Preziosen von Chick Corea, Experimentell-Minimalistisches von Meredith Monk, Liturgievertonungen von Olivier Messiaen – sind, nun ja, fast nicht wiederzuerkennen: Dass man diese Phrase allzu gern bei verloren geglaubten Weggefährten verwendet, die man nach langer Zeit wieder trifft, ist der so wunderschöne Grundgedanke von „Lost & Found“.
Sean Shibe erhält den OPUS KLASSIK für „Lost & Found“, erschienen bei Pentatone. concerti verlost drei Exemplare.
Gleich das Eingangsstück etwa, Hildegard von Bingens „O Virdissima Virga“: Man wähnt ein introvertiertes Progrock-Solo (Sean Shibe spielt auf diesem Album E-Gitarre und nicht die klassische Variante des Instruments), wäre da nicht das Würdevolle, das Graziose, das Archaische, eben das, was noch immer die Seele, der Ursprungsgedanke des Mittelalterstücks ist. Den Kern, das eigentliche Wesen des jeweiligen Stücks, bewahrt nämlich der 31-jährige Schotte, aller Lust an der Veränderung zum Trotz. Aber ist das noch Klassik? Oder doch schon Rock? Vielleicht Jazz? Es ist Musik.