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100 Jahre Leonard Bernstein – Der Dirigent

Anruf mit Folgen

Mit Leidenschaft und größtem Respekt vor der Musik: der Dirigent Leonard Bernstein

vonJohann Buddecke,

Der Legende nach begann alles nach einer durchzechten Nacht. Leonard Bernstein, kein Kind von Traurigkeit, hatte am Abend des 13. November 1943 kräftig ins Glas geschaut, als am darauffolgenden Morgen das Telefon klingelte. Die Nachricht, die ihm überbracht wurde, lautete im Kern so: Bruno Walter kann das am Abend geplante Konzert mit der New York Philharmonic nicht dirigieren. Sie müssen einspringen!

Sicherlich war Leonard Bernstein sofort klar, was ihm da gerade angeboten worden war. Das Konzert sollte schließlich landesweit im Rundfunk übertragen werden – eine derartige Chance konnte er sich nicht entgehen lassen, und so sagte er spontan zu. Wenige Stunden später stand er auf der Bühne – ohne Probe, dafür aber mit den Spätfolgen des Vorabends in den Knochen. Doch alles lief perfekt. Bernstein lieferte seinem Publikum einen Vorgeschmack jenes leidenschaftlichen Dirigats, für das er wenig später in die Musikgeschichte eingehen sollte. Seine Interpretation von Robert Schumanns „Manfred-Ouvertüre“ und Richard Strauss’ „Don Quixote“ hinterließ bei Publikum und Kritiker gleichermaßen einen gewaltigen Eindruck. Der Grundstein für eine internationale Karriere war gelegt.

Auf Augenhöhe mit den Musikern

Maßgeblich für den Erfolg als Dirigent war ein besonderes Talent: Bernstein war in der Lage, auf der Bühne sowohl den ernsten Interpreten zu geben als auch den unterhaltenden, bisweilen wilden Entertainer. Beides verfolgte er mit höchstem Einsatz und größtem Respekt vor seinem Publikum und den Orchestermusikern. Das von ihm in seiner späteren Karriere dirigierte Repertoire war dabei so vielfältig und schillernd wie seine Eigenschaften als Künstler. Ob klassische Sinfonik, Werke der Avantgarde oder Musical: Bernstein unterschied nicht in Gattungen und Genres.

Leonard Bernstein
Leonard Bernstein © Sony Music

Seine Hauptaufgabe als Dirigent sah Bernstein vielmehr in der Animation des Orchesters denn im autoritären Gebaren am Pult. Sein Anliegen war es zu beobachten, zu verstehen und dem Klangkörper die Musik und Komponistenintention zu vermitteln, wobei sich Bernstein stets als Teil des Geschehens, auf Augenhöhe mit den Musikern betrachtete. Probleme löste der Menschenfreund lieber unbürokratisch ohne hierarchische Spielereien. Während des Dirigats nach technischer Präzision strebend, lief Bernstein selten Gefahr, ausdruckslosen Schönklang zu produzieren. Dafür war sein künstlerischer Anspruch, den orchestralen Ausdruck in den Fokus zu rücken, zu stark ausgeprägt. Was ihn wiederum nicht abhielt, in langen Probenphasen mit den Musikern alles bis ins letzte Detail einzustudieren. Besonders vehement ist dies an seinem glühenden Engagement für die Sinfonik Gustav Mahlers zu erkennen, dessen Werke Bernstein verehrte wie kaum ein anderer.

Mit den großen Orchestern der Welt in Treue verbunden: Leonard Bernstein

Dass sein Konzept bei den Klangkörpern auf großes Fürsprechen traf, ist an langjährigen Zusammenarbeiten mit renommierten Orchestern abzulesen, darunter den New Yorker Philharmonikern, dessen Chefdirigent er von 1958 bis 1969 war, sowie den Wiener Philharmonikern und dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, denen er über Jahrzehnte als Gastdirigent verbunden blieb. Auch lag Leonard Bernstein die Folgegeneration am Herzen. Obwohl Bernstein Dirigentenwettbewerbe und Vorspiele als „ungeliebte Aufgabe“ bezeichnete, nahm er sich Zeit und arbeitete intensiv mit dem Nachwuchs in zahlreichen Masterclasses. „Schließlich hat nicht jeder angehende Dirigent das Glück, einen morgendlichen Anruf des New York Philharmonic zu erhalten.“

Leonard Bernstein dirigiert Gustav Mahlers Sinfonie Nr. 1:

https://youtu.be/cQFjDBFXN58

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