Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Musikfreunde, das konstantinische Dekret von 321 ist der älteste bekannte Nachweis für jüdisches Leben nördlich der Alpen und die 1 700 Jahre sind ein willkommener Anlass, jüdisches Leben hierzulande feierlich zu begehen. Erfreulicherweise beteiligen sich zahlreiche Institutionen mit den unterschiedlichsten Angeboten und Veranstaltungen an dem Festjahr. Aus meiner Sicht ist das eine große Chance: Wenn quer durch die Gesellschaft gezeigt wird, wie vielfältig und verwurzelt jüdisches Leben ist, dann können wir hoffentlich erreichen, dass so manches Vorurteil über Juden endlich verschwindet.
Ich freue mich daher sehr über den Themenschwerpunkt von concerti. Auf diese Weise ist das Konzert- und Opernmagazin ein Teil des Festjahres, und Sie als Leserinnen und Leser bekommen über die Musik einen Einblick in die jüdische Kultur. Sie werden einiges dazu lesen, was eigentlich alles mit „jüdische Musik“ gemeint sein kann: von den Entwicklungen des synagogalen Gesangs sowie der jüdischen Kunstmusik in den vergangenen Jahrhunderten bis heute. Dabei ist mir besonders wichtig, dass Sie auch mehr über die jüdische Kultur in Deutschland heute erfahren.
Starkes Interesse an jüdischer Kultur
Die Nationalsozialisten wollten Juden und damit die gesamte jüdische Kultur ausrotten. Daher war es durchaus überraschend, dass im Deutschland der Nachkriegszeit ein relativ starkes Interesse an jüdischer Kultur entstand. Das Interesse an jüdischer Musik beschränkte sich allerdings zunächst auf die „verfolgte“ bzw. „verlorene Kultur“. Hier ist speziell die Synagogenmusik – vor allem die der deutschen Reformsynagoge – zu nennen, aber auch jiddische Lieder und Klezmer entdeckten viele nichtjüdische Deutsche für sich. Diese ursprünglich vor allem in Osteuropa beheimatete Musik wurde in Deutschland gewissermaßen zum Inbegriff jüdischer Musik.
Jüdische Musikkultur kann erfreulicherweise inzwischen auch in Deutschland sehr viel breiter erfahren werden. Davon zeugen nicht nur die vielen jüdischen Kulturtage und Festivals, sondern auch mehrere Synagogalensembles, jüdische Orchester-Projekte, wissenschaftliche Einrichtungen sowie eine gewachsene Szene jüdischer und nichtjüdischer Musiker und Ensembles.
Bis vor einigen Jahren mussten jüdische Festivals Künstler vor allem aus Israel und den USA einfliegen. Zwischenzeitlich hat sich in Deutschland eine neue jüdische Kulturszene entwickelt. Das ist vor allem der Zuwanderung aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion seit 1989 sowie dem starken Interesse junger Israelis an Berlin zu verdanken. Der Zentralrat der Juden unterstützt mit seinem Kulturprogramm seit mehr als fünfzehn Jahren dezidiert diese Entwicklung, in dem jüdische Kultur „made in Germany“ gefördert wird.
In den vergangenen 1700 Jahren wurden Jahre von relativer Blüte immer wieder von Vertreibungen und Pogromen abgelöst bis hin zur Schoa – leider wird auch in jüngster Zeit jüdisches Leben bedroht. Die Entwicklung der jüdischen Kultur in Deutschland seit 1945 ist vor diesem Hintergrund jedoch ein sehr positives Kapitel. Ich wünsche Ihnen eine interessante Entdeckungsreise durch die jüdische Musik!