Es sei eine „bizarre Situation“, sagt Christiane Albiez. Die Musikwissenschaftlerin ist Mitglied der Geschäftsleitung beim Schott-Verlag in Mainz. Einerseits habe man in diesem Jahr feierlich ein Jubiläum begehen wollen – immerhin den 250. Geburtstag des Musikverlags, eines der international bedeutendsten seiner Art im gesamten bürgerlichen Zeitalter. Andererseits kämpft Schott seit Beginn der Covid-19-Pandemie in Europa ums Überleben. „Die Hälfte unserer Einnahmen stammt normalerweise aus dem Aufführungsgeschäft“, sagt Christiane Albiez. Und dieses wird, nicht nur in Deutschland, in alter Pracht so schnell nicht wiederkommen. Nur zwanzig Prozent des gewohnten Geldes verdient Schott derzeit noch mit Opernaufführungen und Konzerten deutschland- und weltweit.
Doch der Werkkatalog ist groß – und die Zahl der bei Schott verlegten zeitgenössischen Komponisten ebenfalls. Und so kann sich der Verlag in der Corona-Krise flexibel zeigen. „In der Tat haben wir verstärkt Fragen nach kleiner besetzten Werken erhalten“, sagt Christiane Albiez. Im Juli etwa hatte eine Fassung von Kurt Weills Oper „Die sieben Todsünden“ am Theater Freiburg Premiere, für die eigens eine reduzierte Orchesterbesetzung erstellt worden war. Aber: „Natürlich bringen Aufführungen einer kleinen Fassung eines Werks in einem kleineren Haus, bei dem dazu nur jeder dritte Sitz verkauft werden darf, viel weniger Geld als Aufführungen großer Werke in großen Häusern vor großem Publikum. Die abgesetzte Oper ‚Intolleranza‘ von Luigi Nono bei den diesjährigen Salzburger Festspielen zum Beispiel reißt bei uns eine gewaltige Lücke in den geplanten Umsatz.“
Mit Beethoven zum Erfolg
„Schott & Söhne“ – heute „Schott Music“: Das ist immerhin der Verlag Ludwig van Beethovens, Richard Wagners und Paul Hindemiths, um nur die allerwichtigsten zu nennen. Beethoven trat mit Johann Andreas und Johann Joseph Schott, den Söhnen des Verlagsgründers Bernhard Schott, drei Jahre vor seinem Tod in ein geschäftliches Verhältnis. „Sie sind so offen und unverstellt, Eigenschaften, welche ich noch nie an Verlegern bemerkte. Dies gefällt mir, ich drücke Ihnen deswegen die Hände“, schrieb Beethoven an die Juniorverleger. Nicht unerwähnt bleiben sollte, dass der berühmte und schwierige Komponist im Laufe seines Lebens zuvor bereits die Zusammenarbeit mit insgesamt dreißig anderen Verlegern beendet hatte, meist im Streit.
Schott in Mainz fand im späten Beethoven gegen Ende von dessen Leben einen Geschäftspartner, wie ihn der Verlag zuvor noch nicht hatte. Höhepunkte – aus heutiger und aus künstlerischer Sicht – waren bis dahin, dass der Verlag im Jahr 1787 Klavier- und Kammermusikwerke von Muzio Clementi und Ignaz Pleyel nachdrucken durfte. Verlagsgründer Bernhard Schott hatte auch bereits einige Mozartwerke gedruckt, aber auch dies nicht als erster und einziger. Ein Jahr vor seinem Tod trat Mozart 1790 als Pianist im Akademiesaal des Kurfürstlichen Schlosses in Mainz auf – bei dieser Gelegenheit soll Bernhard Schott persönlich auf den Wiener Klassiker getroffen sein. Zu diesem Zeitpunkt besaß der Verleger bereits seit zehn Jahren das in Mainz erstmals verliehene „Privilegium exclusivum“ für Notenstich und das Prädikat „Hofmusikstecher“. Eine wichtige Grundlage für den wirtschaftlichen Erfolg des jungen Unternehmens war geschaffen. Innerhalb des Kurfürstentums Mainz durfte niemand außer Bernhard Schott Noten mit Stahlstempeln in jene Metallplatten stechen, welche die Druckvorlagen bildeten – übrigens noch weit bis ins zwanzigste Jahrhundert hinein.
Risikolose Bearbeitungen für den Hausgebrauch
Sein Geld verdiente der Verlag bis zum erfolgreichen Kontakt mit Beethoven vornehmlich mit Bearbeitungen populärer Musikstücke – damals eine so risikolose wie einträgliche Angelegenheit. Wurde etwa ein Orchesterwerk oder eine Oper vom Publikum gut aufgenommen, gaben die Verlage rasch Bearbeitungen für Klavier und Kammermusikbesetzungen in Auftrag, um vom Weg der Melodien in die bürgerlichen Wohnstuben finanziell zu profitieren. Ein Werk wie die neunte Sinfonie von Beethoven sowie dessen „Missa solemnis“ bereits vor oder kurz nach der Uraufführung zu verlegen – dieses Risiko konnte Schott wohl nur eingehen, weil der Verlag zu dieser Zeit bereits etabliert und Beethoven weltberühmt war. Übrigens sollen sich die Schotts das Wohlwollen des Komponisten auch durch regelmäßige Weinlieferungen aus dem nahe gelegenen Rüdesheim gesichert haben. Diesen Flaschen, glaubt man Beethovens windigem ersten Biografen Anton Schindler, sollen noch die letzten Worte des Meisters auf dem Totenbett 1827 gegolten haben.
Auch der Werke Richard Wagners nahm sich der Schottverlag erst an, als die Geschäftsführer sicher sein konnten, damit Geld zu verdienen – bei den „Meistersingern von Nürnberg“ im Jahr 1862. Es war das erste große Werk Wagners, das bei Schott erschien. „Der Ring des Nibelungen“ und „Parsifal“ sollten folgen. Zuvor war Wagner für den Schott-Verlag ein langjähriger Bewerber unter vielen. Der 17-Jährige nahm bereits Briefkontakt auf und bot seinen Klavierauszug der neunten Sinfonie von Beethoven an. Schott lehnte ab. Mehr als dreißig Jahre später kam Wagner selbst nach Mainz und las dort vor geladenen Gästen aus seinem Textbuch zu den „Meistersingern“ vor. Als er das Interesse an der Oper spürte, stellte Wagner gewaltige finanzielle Forderungen: einen Vorschuss auf die Partitur von zehntausend Francs. Doch Ludwig Strecker senior schlug ein. Der Urgroßvater des heutigen Verlagserben Peter Hanser-Strecker erspürte das Neue in der Musik Wagners und ahnte, dass sich damit in Zukunft Geld verdienen lassen würde.
Haupteinnahmequelle Wagner
Kurz nach dem Ersten Weltkrieg bot sich dem Verlag eine ähnlich krisenhafte Situation wie heute: Wagners Opern und Musikdramen waren zu einer Haupteinnahmequelle des Verlags geworden. Doch die Zukunft der deutschen Hoftheater, an denen diese Werke vorzugsweise gespielt wurden, war höchst ungewiss. Die Geschäftsführer Willi und Ludwig Strecker Junior hielten nun selbst gezielt nach vielversprechenden Komponisten der jüngeren Generation Ausschau – und stießen auf Paul Hindemith. Den jungen Konzertmeister im Frankfurter Opernorchester ließen die Streckers schon als Mittzwanziger zu einem sehr selbstbewussten Geschäftspartner heranwachsen, der sich schon nach wenigen Kammermusikkompositionen über zu geringe Entlohnung beschwerte: „Zudem wissen Sie ebenso gut wie ich, dass das erst der Anfang ist und dass ich auf dem besten Wege bin, sehr bekannt und sehr viel gespielt zu werden. Sie werden also im Laufe der nächsten Jahre nicht nur auf Ihre Kosten kommen, sondern wahrscheinlich auch ein gutes Geschäft an mir machen.“
So sollte es sein – ungeachtet der strauchelnden Musikinstitutionen in der Weimarer Republik. Wieder einmal hatte das Verlagshaus seinen Sinn für die Zukunft der Musik bewiesen. Hierfür ließen sich bis in unsere Tage etliche Beispiele anführen. Seit der Mitte der 1980er Jahre etwa stellte Schott als einer der ersten Musikverlage weltweit seine gesamte Produktion auf digitalen Notensatz um – das Notenstechen, welches im 18. Jahrhundert das große Privileg Bernhard Schotts im Kurfürstentum Mainz ausmachte, war endgültig vorbei.