Johann-Sebastian-Bach-Platz, Stuttgart-West. Hier residiert die Internationale Bachakademie Stuttgart seit nunmehr vier Jahrzehnten. Zur Eröffnungsfeier habe Manfred Rommel, der damalige Stuttgarter Oberbürgermeister, ein ganz spezielles Geschenk mitgebracht: ein Straßenschild. „Er erhob die Einmündung der Hasenbergsteige in die Reinsburgstraße zum Johann-Sebastian-Bach-Platz. Könnte eine Bachakademie eine bessere Adresse haben?“, erzählt Helmuth Rilling in einem Gespräch mit dem Bach-Experten Andreas Bomba.
Kulturbotschafterin: Die Internationale Bachakademie Stuttgart
Der stattliche Gründerzeitbau beheimatet neben Büros sowie einem Konzertsaal mit 200 Plätzen auch das öffentlich zugängliche Forschungsarchiv. So wurde im Jahr 2000 die weltweit erste Gesamteinspielung der Werke von Johann Sebastian Bach durch Helmuth Rilling und Andreas Bomba als Projektkoordinator in 172 CDs vollendet. Schon immer legte Rilling besonders großen Wert darauf, die Bachakademie als Kulturbotschafterin in die Welt zu schicken. Das geschah auf ausgedehnten Konzertreisen ihrer Ensembles Gächinger Kantorei und Bach-Collegium Stuttgart, darunter waren auch denkwürdige Auftritte in Israel und Osteuropa.
Bach selbst ist zwar nie in Stuttgart gewesen, dennoch ist die Landeshauptstadt eines der weltweit bedeutendsten Zentren für die Pflege und Verbreitung seiner Musik. Die am 16. November 1981 gegründete Stiftung pflegt das Musikerbe von Bach, seinen Zeitgenossen, Vorgängern und Nachfolgern durch Veranstaltungen und Vermittlung, Unternehmertum, Ausbildung und Forschung. Doch schon in den siebziger Jahren hat Helmuth Rilling Bachakademien, also Festivals mit Konzerten, Vorträgen und Meisterkursen, veranstaltet. Und zwar nicht nur in Stuttgart, sondern auch in Oregon, Osteuropa, Südamerika und Japan.
Freundschaftliche Beziehungen zu vielen Bach-Institutionen
Während Deutschland geteilt war, sollte die Stuttgarter Bachakademie mit ihrem ganzjährigen Akademiebetrieb ganz bewusst einen theologischen Gegenpol zum Leipziger Bach-Archiv darstellen. Großen Wert legen die Stuttgarter dabei auf freundschaftliche Beziehungen zu dieser und vielen weiteren Bach-Institutionen weltweit, von denen so manche ihre Ursprünge in den von Rilling organisierten Akademien haben.
Seit 2013 steht die Institution unter der Leitung des Dirigenten Hans-Christoph Rademann. Der 1954 von Helmuth Rilling gegründete Chor „Gächinger Kantorei Stuttgart“ umfasst seit 2016 in der historisierenden Schreibweise „Gaechinger Cantorey“ neben dem traditionsreichen Chor auch das Barockensemble der Bachakademie. Herzstück ist ein aufwendiger Nachbau einer zufällig entdeckten Truhenorgel von Gottfried Silbermann, dem berühmten sächsischen Orgelbauer und Zeitgenossen Johann Sebastian Bachs. Sie ist das neue klangliche Fundament der Gaechinger Cantorey und verkörpert als originalgetreues Exponat barocker Klangideale das Zentrum der Internationalen Bachakademie Stuttgart.
„Kulturelle Bildung ist Persönlichkeitsbildung“
Doch wie lassen sich so kostspielige Instrumente überhaupt finanzieren? Das ist nur durch Zuwendungen von privaten Spendern möglich. Deshalb versteht sich die Stiftung auch als Wirtschaftsbetrieb, den die geschäftsführende Intendantin Katrin Zagrosek zu 40 Prozent durch die öffentliche Hand und zu 60 Prozent aus privaten Mitteln finanziert. Diese umfassen Spenden, Mieteinkünfte und einen treuen Förderkreis sowie die Unterstützung zahlreicher Wirtschaftsunternehmen und unternehmensnahen Stiftungen.
Hans-Christoph Rademann richtet seinen Fokus nun auf die Kultivierung eines „Stuttgarter Bachstils“. Basierend auf dem historischen Fundament der Bach-Zeit und mit Wurzeln in der lebendigen Aufführungspraxis des von Helmuth Rilling gegründeten Chors steht die Gaechinger Cantorey für den ganzheitlichen musikalischen Ansatz und die ästhetische Klangvorstellung des Barock. Ihre Jubiläumsspielzeit eröffnet die Bachakademie mit Haydns „Schöpfung“ in Ludwigsburg und Stuttgart, eine Aufführung davon richtet sich ausdrücklich für Kinder und Jugendliche. Diese Zielgruppe liegt Rademann besonders am Herzen. So haben etwa durch das Programm „BachBewegt!“ der Bachakademie in den letzten acht Jahren schon mehrere Tausend Schülerinnen und Schüler tanzend und singend ganz individuelle Zugänge zur Musik gefunden. Damit möchte er weniger sein Publikum von morgen erschaffen. Vielmehr ist der Akademieleiter davon überzeugt, „dass kulturelle Bildung auch Persönlichkeitsbildung und damit systemrelevant ist“ – und das hoffentlich für viele weitere Jahrzehnte.