Mozart geht ihr auf den Keks
Als 1777 in Wien die „Wunderheilung“ der blinden Pianistin Maria Theresia Paradis die Runde macht, rennen Ärzte, Kranke und Sensationshungrige Franz Anton Mesmer die Türen seines Privatsanatoriums ein. Doch die Euphorie ist von kurzer Dauer. So sehr Mesmer um die wissenschaftliche Anerkennung seiner Heilmethoden ringt – des Magnetismus in Kombination mit einer Art Gesprächstherapie –, bezichtigt ihn das medizinische „Establishment“ bald der Scharlatanerie. Gleichzeitig beginnt die Gerüchteküche zu brodeln ob des vertrauensvollen Umgangs von Arzt und Patientin, zu deren Bekanntenkreis auch Wolfgang Amadeus Mozart zählte. Für Paradis soll er sein B-Dur-Klavierkonzert KV 450 komponiert haben. Sinnlich und amüsant schildert Walser eine Begegnung der Pianistin mit dem Wiener Klassiker, bei der beide vor dem gemeinsamen Musizieren gierig über eine Schale Kekse herfallen und ihre Hände sich in die Quere kommen. Während Mesmer der Nachwelt eine „Krankenakte Paradis“ hinterlassen hat, sind von Paradis selbst leider keine Aufzeichnungen überliefert. Diese Lücke füllt Walser elegant, indem sie sich glaubwürdig in das Seelenleben zweier Protagonisten einfühlt, deren enge Verbindung auch in der gemeinsamen Liebe zur Musik gründet. Da Maria Theresia weder sehen noch riechen kann, lässt die Autorin das Erleben ihrer Protagonistin in auditiven und taktilen Assoziationen aufscheinen, in denen etwa das Tauwetter zu einem „Tropfenorchester“ wird. Den Leser erwartet ein poetisches Plädoyer, das die Menschlichkeit und Toleranz über gesellschaftliche Konventionen und zügellosen Forscherdrang stellt, wobei sich Maria Theresia unter Mesmers Obhut aus der vereinnahmenden Vormundschaft ihrer Eltern befreit und in eine selbstbewusste junge Frau verwandelt. Raphaela Hag
Alissa Walser: Am Anfang war die Nacht Musik
Piper, 256 Seiten, 11 Euro