Dieses kulturgeschichtliche Schwergewicht ist eine Ergänzung zu Udo Bermbachs bestechend genauer Darstellung „Wagner und die Deutschen“. Mit Begeisterung und subjektiven Reibungsflächen, deren biografische Hintergründe er im Nachwort skizziert, durchstöbert der amerikanische Musikkritiker Alex Ross anhand der von ihm in Jahrzehnten aufgetürmten Fakten den Wilhelminismus, die internationale Moderne und die Nachkriegsjahre. Besonders spannend ist das Kapitel über die Schriftstellerin Willa Cather. Ross streift Wagners Einfluss auf die Massenkultur, zögert aber vor dem präzisierenden Exkurs in die Wagnerismen von „Game of Thrones“ und „Star Wars“.
Der Rassist Wagner
Ihm geht es um den „Einfluss des Musikers Wagner auf Nicht-Musiker“. Ross kann Charisma und Ekel säuberlich trennen, was reflektierenden Deutschen noch immer Schwierigkeiten bereitet. Er polemisiert gegen Wagners Antisemitismus, welcher diesen für die Nationalsozialisten ideologisch nutzbar machte, und würdigt den Widerhall von Wagners mythischen Visionen in Belletristik und Film bis zum Wagner-Sound in positiven Öko-Utopien. Der Autor lässt sich in leidenschaftliche Hingabe an den französischen Wagnérisme des Fin de siècle fallen und er artikuliert offenherzig seine Abneigung gegen Krassheiten im Regietheater. Oskar Panizzas Satire „Das Liebeskonzil“ nennt er „geschmacklos“. Insofern ist Ross‘ Streifzug auch das Protokoll seiner eigenen hypnotischen Faszination, mit der er den Festspielgründer und Emanzipationsvordenker zum unstürzbaren Säulenheiligen der Moderne erhebt.