Kann in einer Diktatur innovative Kunst gedeihen? Selbstverständlich. Was einst für den Aufbruch der Avantgarde in der Sowjetunion galt, hat auch für die Opernszene des sozialistischen deutschen Staates seine Gültigkeit – trotz aller muffigen Spießigkeit von Honecker und seinen Genossen, trotz böser Zensur und unverhohlener Einflussnahme „der Partei“ auf kreative Prozesse und Systeme, trotz Mauerbaus, der den Austausch von Ideen und den dringend nötigen Transfer von Personal massiv einschränkte. Mit Eckart Kröplin, Jahrgang 1943, wird ein Insider zum Chronisten von exakt vier Jahrzehnten „Operntheater in der DDR“, das er an vielen Häusern selbst mitprägte, nicht zuletzt als Chefdramaturg der 1985 wiedereröffneten Semperoper in Dresden. Sein nüchterner Ton und sein detailgenauer Blick von Innen laden dazu ein, sich selbst ein Bild zu machen und seine Meinung zu bilden.
Ein wenig Ostalgie
Der Musikwissenschaftler ordnet ein und klärt auf, aber er klagt nicht an. Erst am Ende des Buches scheint ein wenig Ostalgie durch, als Kröplin diagnostiziert, wie mit dem Untergang des Unrechtsstaats nun der „Reichtum des DDR-Musiktheaters in die Welt exportiert“ wurde und „diese einmalige Opernkunst unübersehbar“ weiterlebe. Da hat er freilich Recht. Denn das realistische Musiktheater, das Walter Felsenstein an der Komischen Oper Berlin perfektionierte und das Harry Kupfer, Joachim Herz und Ruth Berghaus mit Zutaten von Brechts epischem Theater fortentwickelten, es prägte das heutige Regietheater nachhaltig. Die dialektische Dramaturgie ostdeutscher Prägung, die sich widerständig und methodisch kunstvoll am SED-Staat rieb, arbeitet sich nach dessen Verschwinden nun am Kapitalismus ab. Allein einen Ausblick auf die Spätfolgen der richtungsweisenden und stilbildenden Ost-Oper vermisst man nach der hoch interessanten Lektüre des reich bebilderten Bandes.