„Der Künstler ist groß, der Mensch desto kleiner“, schreibt Minna Wagner am 2. März 1863 an ihre Schwägerin Cäcilie Avenarius, jene Halbschwester des Komponistengenies, die ihren mittlerweile berühmten Bruder als einzige in der Familie in all seinen Widersprüchen voll erkannte. Der nun erstmals veröffentlichte, nur behutsam kommentierte Briefwechsel der beiden Frauen zeugt von einem einzigartigen Vertrauensverhältnis zweier Geistes- und Seelenverwandter. Er kreist, kaum verwunderlich, um einen abwesenden Dritten, der die direkte Kommunikation mit seiner Frau und seiner Schwester immer mehr meidet, weil er sich darin mit sich selbst, zumal mit seinen charakterlichen Defiziten konfrontieren müsste.
Anders als die im großen Umfang zugänglichen Briefe Richard Wagners, die in ihrem emotionalen Überschwang nur selten ehrliche Gefühle, umso häufiger ihre manipulativen Absichten offenbaren, wirkt der Austausch der beiden feinsinnigen Frauen (Cäcilie nennt Minna ihre „Herzens Schwester“) enorm authentisch – und in Bezug auf Richard Wagner erstaunlich fair. De facto hat der Komponist seine Gattin in den letzten Jahren ihres Lebens längst verlassen und sich wechselnden Affären hingegeben, de jure und in einigen eher der Außenwelt geltenden Wiederbegegnungen sind sie weiterhin ein Ehepaar.
Doch Minna Wagner wäscht keine schmutzige Wäsche. Engagiert erwirkt sie seine Amnestie für die deutschen Länder, zunächst aber ist Sachsen, wo er nach seinen revolutionären Umtrieben verbannt war, ausgenommen. Just in Dresden aber lebt die herzkranke Minna, besucht Vorstellungen der Werke ihres Mannes und schlägt sich in einer Mietwohnung durchs Leben, deren beste Zimmer sie an Durchreisende vermieten muss, denn die Zahlungen ihres Gatten kommen zu unregelmäßig. Richards immer mehr von Empathie befreite, durch seinen Erfolg befeuerte Eitelkeit wird zum Leitmotiv des Leidens seiner Frau, die wir in ihren berührenden brieflichen Bekenntnissen fürwahr als großen Menschen kennenlernen.