Das Beethovenfest Bonn und Deutsche Welle unterziehen im Rahmen eines Campus-Projekts ein berühmtes Referenzwerk der Klassik einer Neubefragung – mittels einer von ihm inspirierten Komposition unserer Tage: Beethovens Neunte, die dieses Jahr genau vor 200 Jahren in Wien uraufgeführt wurde, trifft auf das „Choral Concerto: Nine“ von Tan Dun. In seinem Stück setzt der aus China stammende New Yorker Komponist Beethovens Musik aus dem frühen 19. Jahrhundert in Beziehung zur langen chinesischen Kultur. Tan Dun hat etwa Impulse aus schamanischen Gesängen genommen und aus den über 2000 Jahre alten Versen der chinesischen Dichter Lao-Tse und Qu Yuan sowie des im 6. Jahrhundert lebenden Li Bai. Diese stellt er Schillers Ode „An die Freude“ aus dem berühmten Schlusssatz von Beethovens Neunter gegenüber. Gleichzeitig hat sich Tan Dun gefragt, was die Musik Beethovens mit uns heute zu tun hat. Sein „Choral Concerto: Nine“ stellt Beethovens Klänge in ein Verhältnis zum Leben in heutigen Großstädten.
Urbanes Pulsieren musikalisch einfangen
So hat Tan Dun beispielsweise in der Megacity Shanghai nach Analogien zu Beethovens Klängen gesucht. Er versuchte, das urbane Pulsieren aus dem Straßen- und Schiffsverkehr, von Baustellen, aus dem Summen der Menschenmassen sowie Klänge des Windes und des Wassers einzufangen. In den Rhythmen dieser akustischen Signale erkannte Tan Dun überraschenderweise Figuren aus Beethovens Musik: „Man fühlt, dass die ganze Welt vibriert, und Beethovens Musik hatte alle diese Codes bereits in sich. Ich versuche, dies in Beethovens Musik zu decodieren“, so der Komponist. Das Ganze gestaltete sich bei der Entstehung seines eigenen Werks sehr intuitiv: „Von Herz zu Herz, von Auge zu Auge, von Ohr zu Ohr.“ So hat es Tan Dun im Vorfeld der Tournee beschrieben, die ihn als Dirigent mit dem mitwirkenden Bundesjugendorchester und dem World Youth Choir nach Berlin führt.
Neue Perspektiven finden
Und: Sein Werk erzähle von „der Schönheit des Geistes, der Schönheit der Erde“, so Tan Dun. Das ist Musik, die wir in diesen aufgepeitschten, verstörenden Zeiten dringend gebrauchen können – um wieder klarer zu sehen und neue Perspektiven zu finden.