Beflügelt vom Geist der Renaissance erfand in Florenz ein Zirkel von Intellektuellen ihr Konzept. In Mantua schuf Claudio Monteverdi mit seinem „Orfeo“ das erste bis heute gültige Werk der neuen Gattung. Erst in Venedig aber fand die Oper jenen kulturellen, sozialen und politischen Humus, um ihre eigentlichen inhaltlichen Konstanten auszuprägen – und in zeitweise bis zu 20 miteinander konkurrierenden Theatern in der Praxis zu erproben. Die These von der freien und reichen Lagunenrepublik als Welthauptstadt der Oper, die der niederländische Kulturhistoriker Willem Bruls in seinem Buch aufstellt, mag auf den ersten Blick steil erscheinen. Doch er belegt sie mit profundem Wissen im lockeren Plauderton, sodass man ihm auf seinen Streifzügen durch Venedig und vier Jahrhunderte Operngeschichte gebannt folgt.
Musikhistorische Spaziergänge durch Venedig
In 19 Spaziergängen entdeckt der Forscher in Kirchen, Konservatorien, Bibliotheken und Opernhäusern, in Palazzi, auf Plätzen und Gassen die beredten Spuren der Vergangenheit, erzählt von der Patrizierfamilie der Grimani, die ihren sozialen Status durch den Bau eigener Theater mehrte, führt uns in den Salondunst des Ridotto, wo im Hedonismus von Spielkasino und Liebesspiel die Grenzen zwischen Leben und Kunst galant hinter dem Inkognito der Masken verschwimmen konnten. Wir begegnen Lebemann, Casanova und Librettist Da Ponte, den Komponisten Händel, Vivaldi und Mozart – und verstehen auf einmal, wie erst die Verführungskunst einer erotisierten Genussgesellschaft die Sujets der Kunstform Oper hervorbringen konnte.