Machen wir uns nichts vor. Es hat uns längst alle infiziert: das Coronavirus. Vielleicht nicht unseren Körper, aber unseren Geist. Der Erreger hat von all unseren Gedanken Besitz ergriffen, und das nehme ich ihm übel. In diesen aufwühlenden Zeiten kommt für mich kein Wohlfühl-Mozart infrage, auch die Box mit den Scarlatti-Sonaten bleibt geschlossen. Lieber halte ich es mit Aristoteles, der auf die Kraft der Katharsis setzte und glaubte, dass sich Anspannungen und Ängste lösen lassen, indem man sie sich gleichsam im Spiegel der Kunst (bei ihm die antike Tragödie) vorhält. Mein ganz persönlicher Impfstoff: Schostakowitschs 24 Präludien und Fugen in der Einspielung von Tatjana Nikolajewa aus dem Jahr 1987.
Schostakowitsch schrieb diese Stücke in Zeiten höchster Bedrängnis durch den Stalin-Terror und flüchtete sich gleichsam in die strenge barocke Form der Fuge, um dem Verdacht zu entgehen, musikalisch gegen das System aufzubegehren. Trotzdem ist in jeder einzelnen Note die drängende Erregung spürbar, mit der der Komponist versucht, seinen Groll und Frust in ein musikalisches Korsett zu pressen, das schlussendlich aus allen Nähten platzt. Wie Nikolajewa diesen Widerstreit auskostet, wie sie die Reibungen, Stolpersteine und spröde Kraft dieser Klavierstücke betont, ausreizt und ins Groteske übersteigert – das ist bis heute unerreicht! Damals wie jetzt kommt es darauf an, in Zeiten des äußeren Drucks und der extremen Einschränkungen des persönlichen Lebens mutig für die innere Freiheit zu kämpfen. Davon erzählt diese Musik.