„Vulgär und hämisch und hässlich“ nennt Hans Werner Henze die Bundesrepublik der Adenauer-Zeit in einem Brief an Ingeborg Bachmann, beste Freundin und Schwester im Geiste. Anfang der 1950er lässt sich der Komponist auf der Insel Ischia bei Neapel nieder. Das Leben in Deutschland ist ihm damals schon lange unerträglich: Die restaurativen Tendenzen der Nachkriegsjahre, Alt-Nazis erneut in Amt und Würden, der Aufbau einer neuen Armee und nach wie vor die gesellschaftliche Ächtung und Kriminalisierung von Schwulen – wie Henze selbst. Italien wird seine neue Heimat.
Aus den ersten Jahren dort stammt Ingeborg Bachmanns Gedichtzyklus „Lieder von einer Insel“, wahrscheinlich während einer gemeinsamen Zeit auf Ischia entstanden. „Unser Alltag war ein Fest“, schwärmte Henze später von Bachmanns Besuch damals bei ihm. Zwei hochtalentierte Künstler sind hier auf dem Sprung zur Weltkarriere. Rund zehn Jahre später vertont Henze Bachmanns Gedichte. Diese stecken bereits die deren Gesamtwerk bestimmenden Themen Einsamkeit, Schmerz, Abschied und Tod ab.
Marcus Creed öffnete das Repertoire des RIAS Kammerchors zu Zeitgenössischem
Henzes Stück steht im Oktober zu Beginn des Konzerts des RIAS Kammerchors, der sein 75-jähriges Bestehen feiert und dies zum Anlass nimmt, seine ehemaligen Leiter zu Konzerten einzuladen. Marcus Creed, der diesmal dirigiert, bestimmte die Geschicke des Berliner Chores in der politischen Umbruchphase von 1986 bis 2001 und öffnete das Repertoire zu Zeitgenössischem. Dementsprechend gibt es eine musikalische Zeitreise durch die Neue Musik.