Marie Jaëll (1846–1925) war ein Wunderkind. Bereits als Neunjährige konzertierte die begabte Französin auf internationalen Konzertpodien und brachte ihr virtuoses, viel gefeiertes Klavierspiel zunächst in der Umgebung ihrer elsässischen Heimat, später auf dem gesamten Kontinent zu Gehör. Auch im Fach der Komposition, der sie mit großer Leidenschaft frönte, zeigte sie beachtliches Talent, wurde sogar als eine der ersten Frauen überhaupt in die Société des compositeurs aufgenommen. Zeitlebens beweg te sie sich in den renommiertesten Musikerkreisen, hatte privaten Unterricht bei Camille Saint-Saëns und César Franck. Als sie zwölf Jahre alt war, widmete Saint-Saëns ihr sein erstes Klavierkonzert. Auch mit Franz Liszt, der sie als Pianistin und Komponistin sehr schätzte, arbeitete sie viele Jahre immer wieder eng zusammen, verbrachte viel Zeit mit ihm in Weimar und ließ sich künstlerisch stark von ihm inspirieren.
Zu Lebzeiten in ganz Europa bekannt, heute nahezu vergessen
Traurigerweise ist es wenig überraschend, dass trotz ihrer Popularität im 19. und frühen 20. Jahrhundert die Werke von Marie Jaëll heute nur äußerst selten die Programme der Konzerthäuser zieren. Bekanntheit gebührt ihr dieser Tage – wenn überhaupt – vor allem für ihre nachhaltigen Errungenschaften in der Klavierpädagogik: Ausgehend von der Physiologie der Hand entwickelte sie einen gänzlich neuen, wissenschaftlich basierten Ansatz der Klavierspieltechnik, für den sie viel Beachtung fand. Warum ihr kompositorisches Schaffen wiederum dennoch nahezu vergessen scheint, hatte bereits ihrerzeit Franz Liszt auf den Punkt gebracht: „Stünde der Name eines Mannes auf ihren Partituren, sie würden in ganz Europa gespielt.“
Danae Dörken ruft das Jaëlls Werk wieder ins Bewusstsein
Ihr erstes Klavierkonzert in d-moll hatte Marie Jaëll im Jahr 1877 komponiert. Die junge deutsch-griechische Pianistin Danae Dörken wird das selten gespielte Werk nun gemeinsam mit dem Brandenburgischen Staatsorchester unter der Leitung von Vilmantas Kaliunas in Frankfurt (Oder) zu Gehör bringen und damit einen wichtigen Beitrag liefern, die Werke vergessener Komponistinnen wieder ins Bewusstsein der Klassikwelt zu rufen und gleichzeitig daran zu erinnern, dass es auch abseits von Bach, Beethoven und Schumann noch endlos viele musikalische Schätze der vergangenen Jahrhunderte zu bergen gibt.