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Konzert-Abonnement im Wandel

Von wegen spießig!

Das Konzert-Abonnement befindet sich im steten Wandel und profitiert von der Digitalisierung.

vonMatthias Nöther,

Konzert-Abonnements: Das ist nicht gerade das Thema, das den meisten einfällt, wenn es um Innovationen im Klassikbetrieb geht. Und doch wird die Wichtigkeit von Abonnenten in Kulturinstitutionen systematisch unterschätzt. Das Anrecht, bereits am Beginn einer Saison verbilligte Karten für meist mindestens drei ausgewählte Konzerte zu erwerben – ist das nicht für das moderne Konzertpublikum viel zu spießig, zu unspontan, zu vorhersehbar? Ist das nicht eher aus der Zeit von (Gott hab sie selig) Tante Erna?

Tante Erna – die mit dem Sitzplatz Parkett zehnte Reihe rechts – mag lange tot sein. Das Konzertabo allerdings ist wieder im Kommen. Gerald Mertens ist sich da sicher. Vor zehn Jahren allerdings hätte der Geschäftsführer der Deutschen Orchestervereinigung noch keine so gute Prognose dafür abgegeben. „Es gab bei vielen Theatern bis vor ein paar Jahren noch einen Rückgang der Abonnements“, sagt Mertens. Er meint nicht die großen Orchester Deutschlands mit eigenem Konzertsaal, sondern eher diejenigen Häuser, die neben der Sinfonik mehrere Sparten wie Schauspiel, Tanz und Musiktheater abdecken. In Kiel etwa, in Lübeck oder Regensburg wollten sich offenbar bis vor zehn Jahren immer weniger Menschen bereits Monate im Voraus an bestimmte Programme, Interpreten und vor allem: an definierte Termine binden. Intendanten vermuteten neben Kultur-Events wie Club, Jazz-Abend oder Kino auch das Internet als Konkurrenz. „Man glaubte, dass die Leute nur kurzfristig eine Kaufentscheidung treffen wollen. Abo, das war etwas für die Alten“ – das sei so das Setting gewesen, von dem man damals ausgegangen sei, so Gerald Mertens.

Imagegewinn durch Digitalisierung

Mittlerweile ist die Freizeitgestaltung durch das Internet noch stärker geworden – und das Abonnement als solches hat gar keinen so schlechten Ruf mehr. Den Imagegewinn beobachtet Sebastian Nordmann, seit 2009 Intendant des Konzerthauses am Gendarmenmarkt in Berlin. „Das Abo hat sich in der Definition durch die Digitalisierung völlig verändert“, konstatiert Nordmann. Netflix, Sportabo – der Begriff habe sich einfach erweitert. „Es ist nicht peinlich, ein Abo zu haben.“ Im Bereich Streaming sei das schließlich ganz normal. Und Corona, vermutet der Intendant, wird solche Üblichkeiten stärker vom Film in den Konzertsaal überschwappen lassen. Haben nicht zahlreiche Konzerthäuser ihre Veranstaltungen während des Lockdowns bereits gestreamt? „Es wird einen Trend geben, das Digital- mit dem Konzertabo zu verbinden.“ Ein Monatsabo etwa, ein „Besuchen-Sie-das-Konzerthaus-Berlin-Abo“, in welcher Form Sie es auch immer besuchen wollen. Zukunftsmusik – keine Institution in Deutschland hat so etwas bisher. Doch die Verschmelzung des Analogen und Digitalen, die Verschmelzung des begrenzten und des unbegrenzten Zugangs zu Kultur, sie würde so ein Abo ab sofort möglich machen.

Doch das Abonnement wird auch wieder populärer, wenn man die neue Digitalität einmal weglässt. In der Tonhalle Düsseldorf etwa gelang es, die Käufe von Konzertabos innerhalb von drei Spielzeiten zu verdoppeln. Intendant Michael Becker ließ sich hierfür von einem Spezialisten aus Finnland beraten. Magnus Still und seine Mitarbeiter der Agentur StillArt jetten mittlerweile als Berater für Manager, Marketing-Fachleute und Dramaturgen an Konzerthäuser durch die ganze Welt, um ihnen Tipps für den steigenden Verkauf von Abonnements zu geben.

Intendant Michael Becker holte sich Unterstützung aus Finnland um die Zahl der Abonnennten zu steigern
Intendant Michael Becker holte sich Unterstützung aus Finnland um die Zahl der Abonnennten zu steigern

Frühzeitiger Verkauf, gezieltes Marketing, Kundenbindung auf allen Kanälen

Magnus Still ist kein Guru, und er agiert auch nicht so. Er hat nur beobachtet, dass die meisten Konzerthäuser nicht mehr an das Abonnement glauben – dass sie aber zugleich ohne Abonnenten selten aus den roten Zahlen kommen. Vor knapp zwanzig  Jahren, so bekennt Still freimütig, habe er selbst kaum anders gedacht. Damals war er gerade zum Generaldirektor des Finnischen Radio-Sinfonieorchesters berufen worden – und habe sich die sinkenden Abo-Zahlen angeschaut. „Mein erster Gedanke war, dass Abos einfach nicht mehr funktionieren. Vielleicht ist es ein natürlicher Vorgang, dass wir Jahr für Jahr Abonnenten verlieren. Es gibt heute so viele Möglichkeiten, seine Freizeit zu verbringen, ganz zu schweigen vom Einfluss des Internets. Die Menschen des 21. Jahrhunderts sind eher eine Surfer-Generation, und vielleicht wollen sie sich einfach nicht mehr binden. Aber dann schoss mir durch den Kopf: Hätten wir nicht die 200 Abonnenten in der Kulturhalle und die 500 in der Finlandia-Halle – was für ein Albtraum wäre das!“ Dann nämlich müsste man mit kurzfristigen Maßnahmen der hauseigenen Marketing-Abteilung jedes neue Konzert des Orchesters von Null an mit Publikum füllen. „Was kostet Sie die Demoralisierung Ihrer Leute durch solche regelmäßigen Torschluss-Übungen? Wieviel Spaß macht das?“, fragt Magnus Still in seinem kürzlich erschienenen Buch „Ausverkauft – das ganze Jahr!“ rhetorisch die Intendantinnen und Intendanten.

Wie gesagt: Magnus Still gibt sich nicht als Abo-Guru. Seine Rezepte zum Mehrverkauf sind einfach: Frühzeitiger Verkauf, gezieltes Marketing, Kundenbindung auf allen Kanälen. Auch Verknappung des Kontingents hält Still für ein probates Mittel: etwa dadurch, dass man große Programme zunächst in kleineren Sälen spielt, so dass die Besucher mittelfristig das Gefühl bekommen, dass der spontane Kauf von Karten an der Abendkasse schwierig wird und dass ein Abo die Lösung wäre.
Aber viele Menschen muss man heute gar nicht mehr zum Abonnement überreden – das wiederum ist die Beobachtung von Sebastian Nordmann, Intendant des Konzerthauses Berlin. „Wir merken, dass es wieder einen Trend gibt, dass Menschen, die um die fünfzig sind, gerne wieder Kultur im Alltag als feste Struktur haben wollen. Sie wollen vier Mal im Jahr einen festen Termin im Kalender haben, da gehen sie dann ins Konzert. Ein Abo dient ihnen dazu, dass sie sich an Kulturveranstaltungen binden, denn sonst würden sie einfach nicht hingehen.“

Steigende Nachfrage

Weil in seinem Haus die Nachfrage nach Abos gestiegen ist, spielt das Konzerthausorchester mittlerweile pro Konzertprogramm noch einen Abend mehr – der dann teilweise etwas abgewandelt wird, auch zu einer anderen Uhrzeit beginnen kann, je nach Zielgruppe. Jetzt, in der ersten Saison nach Corona mit reduziertem Kartenkontingent, spiele man nochmal mehr Konzerte pro Serie – nicht zuletzt, um die bereits eingebuchten Abonnenten zu befriedigen. Das Stammpublikum.

Nordmann entwirft die Abostruktur seines Hauses für eine heterogene Metropole wie Berlin, in der viele junge Menschen sowie Arbeitnehmer mittleren Alters leben – während Magnus Still aus seinen Beobachtungen im dünn besiedelten Skandinavien und in deutschen Mittelstädten mit Stadtheater eher ältere Ansichten zum Abonnement als kaum überholt ansieht. Er glaubt, dass Abonnenten weiterhin meist Menschen fortgeschrittenen Alters sind – und er wirbt dafür, die Vorbehalte gegenüber dieser Generation der Konzertbesucher gar nicht erst aufkommen zu lassen.

„Mit dem Ruhestand kommt viel mehr freie Zeit“, so Magnus Still. „An diesem Punkt kann ein Abonnement eine bequeme Lösung sein. Nicht für alle, aber für viele über 55 stellt die Kunst einen Wert dar, und das erklärt, warum das Publikum von Kulturveranstaltungen statistisch zu 85 Prozent aus solchen Menschen besteht. Ist das ein Problem?“

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