Nach seinem Tod 1980 wurde es sehr ruhig um die Musik dieses einsamen, zornigen, kranken Mannes. Es gab zwar noch posthume Uraufführungen seiner letzten drei Sinfonien, aber dann ließ das Interesse rapide nach; die Stockholmer Philharmoniker, denen er mehrere Jahre angehört hatte, ignorierten ihn vollständig. Eine Gruppe deutscher Dirigenten, Komponisten und Autoren sorgte dafür, dass Pettersson in jener kritischen Zeit nicht vergessen wurde; Peter Ruzicka, Peter Gülke und Gerd Albrecht setzten ihn wiederholt aufs Programm. In der Saison 1994/95 veranstaltete Nordrhein-Westfalen einen Zyklus mit über 60 Pettersson-Konzerten, und das Label cpo brachte die erste (fast) vollständige Einspielung seiner 16 Sinfonien heraus.
Zu den Aposteln der ersten Stunde gehört auch Andreas Peer Kähler, der im Laufe von nunmehr drei Jahrzehnten immer wieder Pettersson-Partituren auf die Pulte seiner Deutsch-Skandinavischen Jugend-Philharmonie legte – darunter zwei deutsche Erstaufführungen sowie eine Uraufführung – und erstaunliche Resonanz fand. Denn im Gegensatz zu professionellen Orchestermusikern verdammen die Jugendlichen keineswegs den hochkomplizierten Hexenmeister, dieses „Extrembeispiel eines unbequemen Komponisten“, wie Kähler ihn nennt, sondern stürzen sich mit Inbrunst auf seine maßlose und unerbittliche Musik. Mit einem Überschwang, den der Dirigent gelegentlich sogar drosseln muss: „Einerseits der ichbezogene Lamento-Ton, andererseits das heftige Aufbegehren gegen die Außenwelt – junge Menschen erkennen sich schnell wieder in Petterssons Emotionalität.“
Wie bei Beethoven, Mahler und Schostakowitsch, den drei größten Bekenntnis-Sinfonikern der Musikgeschichte, haben auch Petterssons Botschaften stets eine individuelle und eine kollektive Dimension. Aufgewachsen im Stockholmer Armenviertel Södermalm, die Mutter eine Frömmlerin, der Vater ein trunksüchtiger und gewalttätiger Schmied, lernte der 1911 geborene Pettersson eine schönere Welt nur in der Musik kennen. Seine ersten Lehrer waren Gossen-Troubadoure, ein Italiener mit Ziehharmonika, ein blindes Mädchen, das Volkslieder sang. Dank Begabung und Energie gelang es ihm, Bratscher zu werden, er studierte in Paris und spielte im Philharmonischen Orchester Stockholm. Doch beendeten schwere Krankheiten diese Tätigkeit schon bald; eine chronische Arthritis machte ihm mehr und mehr zu schaffen, lange Krankenhausaufenthalte wechselten mit manischen Schaffensphasen.
Da lag es nahe, die Lärmattacken, quälenden Ostinati und melancholischen Melodien seiner Tonsprache als Selbstporträt zu deuten. Allzu gern zitierte man Petterssons Satz, sein Material sei sein verfluchtes, gesegnetes Leben. Aber er hat auch von der Identifikation mit dem Unansehnlichen gesprochen und Pablo Neruda vertont. „Ich bin gar kein Komponist“, so Pettersson verzweifelt, „ich bin eine rufende Stimme.“ Das Establishment erklärte ihn flugs zum Arbeiterkomponisten, während seine avantgardistischen Kollegen einen bürgerlichen Romantiker in ihm sahen. Doch traf er den Nerv der Zeit. Seit der sensationellen Uraufführung der siebten Sinfonie 1968 galt er in Schweden beinahe als populär.
Missverstanden fühlte sich Pettersson trotzdem. Er lebte, längst ausgestattet mit Staatsrente und Staatswohnung, weiterhin in Södermalm, konnte nicht mehr das Haus verlassen, türmte immer gigantischere Werke aufeinander, einsätzige Kolosse von bis zu 90 Minuten Spieldauer, in denen letzte Schlachten geschlagen werden zwischen Gut und Böse, in denen Terror und Trauer herrschen, wie sie in dieser Dosierung kein anderer Komponist je anzubieten wagte – eine Welt gnostischer Gegensätze, für die einen erschreckend und abstoßend, für die anderen faszinierend, unvergesslich.
Vielleicht muss man achtzehn oder fünfundzwanzig sein, um Allan Pettersson wirklich zu verstehen, so leidenschaftlich hoffend, so kompromisslos, so unschuldig. Es wurden aber auch schon gestandene Mannsbilder gesichtet, die bei dieser Musik in Tränen ausbrachen.