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Feature: Die Entdeckung Robert Kahns

Berührend, tiefgründig und absolut hörenswert

Zusammen mit ihrem Hohenstaufen Ensemble entreißt Geigerin Rahel Rilling die musikalischen Schätze ihres Urgroßvaters Robert Kahn dem Vergessen.

vonSören Ingwersen,

Einen Wikipedia-Artikel, die digitale Eintrittskarte in die Welt wichtiger Persönlichkeiten, hat er immerhin. Da gibt es ganz andere Fälle von historischem Vergessen und Missachtung künstlerischer Exzellenz. Aber wer weiß eigentlich um die wahre Bedeutung des Œuvres, das Robert Kahn hinterlassen hat? Selbst seine Nachfahren entdecken nur zögerlich dessen musikalisches Erbe. „Erst als meine Schwester Sara und ich in Berlin studierten, wo unser Urgroßvater als Professor für Kammermusik und Klavier gewirkt hat, haben wir angefangen, uns mit seiner Musik zu beschäftigen“, gesteht Geigerin Rahel Rilling. Mit ihrem Hohenstaufen Ensemble – entstanden im Rahmen des 2006 von ihr gegründeten Kammermusik Festival Hohenstaufen – hat sie bereits vor zehn Jahren durch eine CD-Einspielung ein edles Bündel romantischer Kompositionen Kahns wieder ins Gedächtnis der Öffentlichkeit zurückgeholt.

Jetzt hat die umtriebige Musikerin und Tochter des berühmten Kirchenmusikers und Bach-Botschafters Helmuth Rilling zusammen mit Pianistin Annika Treutler und Cellist Dávid Adorján erneut drei Werke aus ihrer familiären Schatztruhe geborgen: das Klaviertrio Nr. 4 e-Moll op. 72, die Serenade f-Moll op. 73 und das Quintett D-Dur für Klavier und Streichquartett. Für das letzte Werk, das zusammen mit der Serenade nun als Ersteinspielung vorliegt, hat Rilling ihre Schwester, die Bratschistin Sara Rilling, und Geiger Gabriel Adorján mit ins Boot geholt, den Klavierpart übernahm Paul Rivinius.

Viel Überredungskunst musste sie bei den beteiligten Musikerinnen und Musikern wohl nicht anwenden, denn: „Robert Kahn hat ein großes Talent, schöne, lyrische und berührende Melodien zu scheiben. Harmonisch erinnert mich einiges an Brahms oder spätromantische Komponisten wie Mahler, den frühen Schönberg oder Ernst von Dohnányi. Manche Sätze sind auch sehr witzig, sehr rhythmisch und fast jazzig. Eine tolle Musik, die sehr tiefgründig und durchdacht ist und sich absolut lohnt zu hören und zu spielen“, schwärmt Rilling.

Im Austausch mit Brahms, Clara Schumann und Albert Einstein

Der 1865 in Mannheim geborene Kahn hat den alternden Komponisten Johannes Brahms 1886 in Wien selbst kennengelernt, wie er überhaupt den Kontakt zu den führenden Künstlerpersönlichkeiten seiner Zeit pflegte. Neben Brahms unterstützten auch Clara Schumann und Hans von Bülow den jungen jüdischen Pianisten und Komponisten Robert Kahn, der später – in den 1920er-Jahren – in seinem herrschaftlichen Haus an der Feldberger Seenplatte so illustre Gäste wie Albert Einstein oder Gerhart Hauptmann empfing, bevor er 1938 vor den Nazis nach England floh, wo er die letzten dreizehn Jahre seines Lebens verbrachte. Kahns Anwesen wurde von den Nationalsozialisten in ein Jugendheim umfunktioniert und zur DDR-Zeit als Jugendherberge genutzt. Dank des Einsatzes von Rahel und Sara Rillings Onkel, dem Cellisten Gottfried Greiner, hat die Familie das Haus inzwischen zurückerhalten.

Rahel Rilling, Annika Treutler und Dávid Adorján haben sich zum Hohenstaufen Ensemble zusammengeschlossen
Rahel Rilling, Annika Treutler und Dávid Adorján haben sich zum Hohenstaufen Ensemble zusammengeschlossen

„Ende der 1990er-Jahre hat unser Onkel die gesamte, weit verstreute Familie dorthin eingeladen. Meine Schwester und ich haben mit ihm zusammen ein kleines Konzert mit Stücken von Kahn gegeben, und mein Cousin hat einige seiner Lieder gesungen. Das war der erste Berührungspunkt mit meinem Urgroßvater“, erinnert sich Rilling. Ginge es nach ihr, würde die Immobilie zukünftig als Kulturzentrum genutzt. Vielleicht böte ein abgelegener Ort wie dieser auch den passenden Rahmen, um sich einmal an den gigantischen Klavierzyklus „Tagebuch in Tönen“ zu wagen, den Kahn im britischen Exil komponierte – mit sage und schreibe 1.160 einzelnen Klavierstücken.

„Es muss damals große Veranstaltungen mit Literatur und Kammermusik gegeben haben. Haus und Grundstück sind ja riesig. Dass wir unser Kammermusikfestival in Hohenstaufen in dem schönen Haus unserer Eltern veranstalten, das eigentlich ein Ferienhaus ist, ist eine schöne Parallele. Obwohl ich einen Albert Einstein dort bisher noch nicht kennengelernt habe“, scherzt Rilling, die allzu gerne damals dabei gewesen wäre, als „die schlauen Köpfe“ im Haus ihres Urgroßvaters „sich unterhalten und überlegt haben, wie das Leben sein könnte.“ Mit der Wiederentdeckung der Musik Robert Kahns wäre es auf jeden Fall: schöner. Rahel Rilling und ihre Musikerkollegen sind auf dem besten Weg, uns davon zu überzeugen.

CD-Tipp

Album Cover für Robert Kahn: Chamber Music

Robert Kahn: Chamber Music

Kahn: Klaviertrio e-Moll op. 27, Serenade op. 73 & Klavierquintett D-Dur Hohenstaufen Ensemble hänssler classic

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